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rechnungsgrundlage anzusetzende Grundumsatz-Kalorienmenge 1945-1948 fortlau
fend, während die offiziellen Rationen trotz Störungen insgesamt allmählich anstie-
gen. Die aus den Ernährungs-Rahmendaten abzuleitende Tendenz zu einer sinken
den tatsächlichen Bedeutung paralleler Versorgungsmöglichkeiten entspricht so
wohl der sinkenden Tendenz des Absentismus in der Industrie als auch dem in den
badischen Schwarzmarktberichten ausführlich beschriebenen „Austrocknen“ der
parallelen Märkte zunächst im Bereich des monetären Schwarzmarktes ab 1946 und
dann auch des Tauschmarktes ab 1947. 1946/47 ist anzunehmen, daß der normale
private Verbraucher, der keine größeren Mengen von Mangelwaren anzubieten hatte
und nicht selbst gewerblicher Schwarzhändler wurde, auf Schwarz- und Tausch
märkten in der Regel nicht viel mehr als 10-15 % seiner tatsächlichen Ernährung hat
erwerben können. Dem entsprechen Berechnungen, die in der britischen Zone 1946
auf eine durchschnittliche „Schwarzmarktration“ von 138 Kalorien kamen.* 2 Die
parallelen Versorgungsmöglichkeiten lagen in der französischen Zone aufgrund der
stärker agrarischen Struktur etwas höher, aber offenbar nicht wesentlich.
Die Schätzung des Volumens der dem privaten Verbraucher zugänglichen parallelen
Versorgungsmöglichkeiten auf 10 - 15% bezieht sich auf diejenigen Gruppen, die
nicht infolge ihrer individuellen Situation - Selbstversorger, Einwohner von Landge
meinden, enge verwandtschaftliche Beziehungen zum Land - ohnehin höhere Ver
sorgungsmöglichkeiten hatten, ohne auf die parallelen Märkte angewiesen zu sein,
also die von Rothenberger beschriebenen Gruppen von Beamten, alten Menschen
und Jugendlichen in den Städten, zu denen in Baden wohl noch stärker als in
Rheinland-Pfalz auch die Industriearbeiterschaft zu rechnen ist. Gewerkschaften
und Rentner gehörten - auch dies eine Bestätigung - zu den Gruppen, deren Proteste
auch in der Fülle staatlicher Akten am umfangreichsten dokumentiert sind. Indu
striearbeiter erhielten zwar vielfach Zulagen, hatten aber auch einen höheren physio
logischen Ernährungsbedarf als viele andere Gruppen; Rentner erhielten nur selten
- so bei Krankheit - Zulagen.
Die hohen Sterblichkeitsziffern in geschlossenen Anstalten wie psychiatrischen Kli
niken, deren Insassen allein auf die offiziellen Rationen angewiesen waren, sind
mehrfach und grundsätzlich mit Recht als indirekter Hinweis auf die Bedeutung der
parallelen Versorgungsmöglichkeiten für die Bevölkerung gewertet worden. 42 43 Auch
sie dürfen jedoch nicht vorbehaltlos als Indikator verwendet werden, da in diesen
Situationen auch andere Faktoren zum Tragen kamen wie der relativ höhere Kalo
rienbedarf solcher Kranker - der die Vergleichsbasis verschiebt - und die ernäh
rungsphysiologisch besonders ungünstige Zusammensetzung der Normalrationen;
sie setzte beispielsweise besondere (etwa flüssige) Ernährungsformen bei Patienten,
welche die Nahrungsaufnahme verweigerten, in ihrer Wirkung erheblich herab. 44
Selbst diese Zahlen, im Kontrast zum Überleben der nicht internierten Bevölkerung
42 Zit. bei Arnold, Hunger, S. 177.
43 So u. a. Rothenberger, Ernährungs- und Landwirtschaft, S. 198, und Stüber.
44 Vgl. dazu Arnold, Hunger, S. 189 ff., mit Wiedergabe zahlreicher Vergleichsunter
suchungen.