108
4. Versuch einer Bilanz: Zur politischen, sozialen und sozialpoliti
schen Bedeutung der parallelen Märkte vor der Währungs- und
Wirtschaftsordnungsreform
Die Spaltung des Geflechtes der parallelen Nachkriegsmärkte in gewerbliche und
nicht-gewerbliche Märkte, die sich 1946/47 entwickelte, bildete zwar den sozialge
schichtlich entscheidenden Hintergrund für die Verschlechterung der Versorgungs
lage der Bevölkerung bei gleichzeitigem Wiederanläufen der wirtschaftlichen Pro
duktion. Methodisch wird es aber gerade durch diese Marktspaltung noch schwieri
ger, die Bedeutung der parallelen Märkte für den normalen Verbraucher und im
Gegenzug auch die Relevanz sozialpolitischer Leistungen quantitativ zu beurteilen.
Wenn es noch möglich erscheint, das Gesamtvolumen dieser parallelen Wirtschaft
sehr grob zu schätzen - hierfür mag man der oben zitierten Annahme der Deutschen
Beratenden Preiskommission vom September 1947 folgen, 40-45% der Umsätze in
der Zone seien auf den parallelen Märkten getätigt worden 1 2 3 so ist auch aus solchen
Schätzungen nicht genauer zu ersehen, welcher Teil dieses Angebots nun noch dem
privaten Verbraucher zugänglich war. Daß er klein gewesen sein muß, ist aus den
individuellen Mengenangaben zu schließen, denen auch Praktiker der Wirtschafts
verwaltung größere Aussagekraft als globalen Zahlen beimaßen/ Die amtlichen
Marktbeobachter in Baden, die das wachsende Volumen der gewerblichen Schwarz-
und Kompensationsmärkte sehr wohl erfaßten, betonten in ihren qualitativen Be
richten im Verlauf des Jahres 1947, daß die privaten Konsummöglichkeiten auf
diesen nicht-gewerblichen Märkten immer mehr abnahmen. Die Grundtendenz ist
also eindeutig. Eine genauere Quantifizierung erscheint, zumindest mit den für diese
Arbeit zur Verfügung stehenden Mitteln, von der Produktions- und Handelsseite her
allerdings methodisch nicht vertretbar. Doch läßt der Blickwinkel des Verbrauchers
selbst noch einige weitere Annahmen zu.
Eine Bestätigung für die quantitative Schrumpfung der dem privaten Verbraucher
zugänglichen parallelen Märkte gibt zunächst das allgemeine Erstaunen über das
„plötzliche“ Warenangebot unmittelbar nach der Währungsreform; es ist zu be
kannt, als daß hier im einzelnen darauf eingegangen werden müßte. Gerade die
Intensität, mit der sich dieses Phänomen bis heute dem kollektiven Gedächtnis der
Bevölkerung eingeprägt hat, ist umgekehrt aber eine Bestätigung dafür, daß der
private Verbraucher vor dem 20. Juni 1948 von der tatsächlichen Produktion weitge
hend abgeschnitten war.
Ein allgemeiner Hinweis für Aktivitäten auf parallelen Märkten ist das Ausmaß der
Fehlschichten in der Wirtschaft/ Die Militärregierung hat ihre Entwicklung stets
1 Vgl. oben S. 64.
2 Vgl. das Zitat von Walter Atorf, oben S. 74 Anm. 1.
3 Die folgenden Angaben beruhen auf der Gesamtheit der vorliegenden Tätigkeitsberichte der
Arbeitsabteilungen der einzelnen Militärregierungen: Jahresberichte der Arbeitsabteilung in
Württemberg-Hohenzollern in AdO Colmar C. 2546; Monatsberichte für Baden ebd. Bade
2402; desgl. für Rheinland-Pfalz ebd. RLP C. 894/D. E-7; Monats- und Quartalsberichte
der Direction du Travail in Baden-Baden in ebd. Bade 2137.