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Im ganzen können wir sagen, daß J. Sch. sehr oft die Strophen¬
einheit oder doch wenigstens die Einheit der Strophenteile
(des Stollens und des Abgesangs) wahrt. Quellenangabe am
Schluß (V) und Namensnennung d’es Dichters (immer in der
letzten Zeile, ausgenommen bei VI) empfinde ich nicht als
schwere Zerreißung der Stropheneinheit, wenn sie auch
manchmal so bloß angeklebt klingen, z. B. in II: „Jörg Schil¬
ler gesungen hot.“- Auch die innere (iliederung aller Strophen,
nicht nur der Schlußstrophen, ist bei unserm Dichter meist
ausgezeichnet, z. B. in I, III, V, VII, X, aber auch in den
anderen Gedichten, wo die losere Anordnung durch den Stoff
bedingt ist. Ein oder zwei oder drei Strophen ist immer ein
bestimmter Stoffabschnitt zugeteält! Gänzliche Vernachlässi¬
gung der Stropheneinheit, nach K. Weber S. 70 bei den Mei¬
stersingern das Häufigste, kann ich für J. Sch. keineswegs be¬
stätigen. Übergreifen eines Satzes in die nächste Strophe
(wie bei Behaitn, Holz u. a.) habe ich in meinen Quellen nicht
bemerkt. Einen künstlerischen Mißgriff J. Sclis. muß ich aber
noch für das Gedicht nr. XI. anmerken, wo er ausgerechnet
noch die 1. Zeile der 6. Strophe zur Schilderung der Erauen-
schönheit braucht, um dann in der Erzählung fortzufahren. —
Die Verseinheit, auch nur meistens, zu wahren (die Tabulatu¬
ren schreiben später Pausen nach jedem Vers vor), ist wohl
eine zu schwierige Forderung: bei J. Sch. finden sich aber
wenigstens nicht derartige Unebenheiten, daß am Schluß eines
Verses ein „vnd“ oder sogar der Artikel für das in der näch¬
sten Zeile folgende Hauptwort steht. Alles dies (wie eben
und S. 84 ff., 91 f.) muß mau sich einmal bewußt gemacht
haben, um trotz der Unbeholfenheit, Einfachheit und Unzu¬
länglichkeit der technischen Mittel meistersingerischer
Kunstübungen doch ein Verhältnis zu dieser Art Dichtung zu
gewinnen.
Jörg Schiller bevorzugt dem Strophenbau seiner Töne
und dem Kompositionellen seiner Dichtungen nach gegenüber
dem späteren Meistergesang durchaus einfachere, unkompli¬
zierte Formen. Zur Füllung seiner Strophenschemata muß er
aber doch oft zu Mitteln greifen, die dann in ihrer überreichen
Anwendung und großen Einfarbigkeit den ganzen Gedichten