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kompositionelles Gleichgewicht. Es wäre wirklich überaus ver¬
lockend, die Erklärung für die Abweichung von einer sonst
so streng eingehaltenen Regel beim Susannablatt in dem starken
Eindruck eines mit anderen räumlichen Vorstellungen ver¬
bundenen theatralischen Erlebnisses zu suchen.
Das „Rätsel" löst sich leider nur viel einfacher! Volte
kannte nämlich nur die eine und zwar die linke Bildhälfte^:
das vollständige Exemplar, das sich im Gothaer Landes¬
museum befindet^, zeigt das typische Kompositions- und
Architekturschema, das sich vom älteren Breu^ aus den Sohn
und weiter auf die Werkstatt^ vererbt hat. Fast die ganze
rechte Hälfte füllt ein dreiteiliges stark italienisierendes Loggien¬
gebäude, das in mehreren Stockwerken noch andere Episoden
der Susannageschichte bietet. Dieser Bau zeigt in seiner Gesamt¬
architektur und vielen Einzelheiten Verwandtschaft mit dem
großen Phantasiegebäude aus dem Susannabild Albrecht Alt¬
dorfers von 1526187 191 192. Damit dürfte bei Gleichheit des Stosses
und manchen kompositionellen Rebereinstimmungen Anregung
und Vorbild für Breu gefunden sein. Er steht damit in einer
festen Tradition, die denkbar theaterfern ist, so sehr sogar,
daß der urkundliche Nachweis, aus dem hervorgeht, daß Jörg
Breu d. I. sich in den Jahren 1536—1540 außerhalb Augsburgs
befand^?, überflüssig erscheint.
Das Ergebnis dieser kurzen — von Volte angeregten —
Bilduntersuchung ist insofern nicht ganz negativ, als es ein
neuer Beweis für die große Gefahr ist, die die Heranziehung
des Bildes für die theaterwissenschaftliche Untersuchung älterer
Epochen bedeutet. Wenn sich der Zusammenhang von Bild
und Spiel für das frühe' Mittelalter mit Sicherheit nach¬
weisen ließ, so gibt das keinenfalls eine Berechtigung, das
gleiche Verhältnis auch für sämtliche folgenden Jahrhunderte
anzunehmen. Für den Bildkünstler der deutschen Renaissance
gab es andere Vorbilder als gerade Schulausführungen! Wenn
Jörg Breu 1530 aus Italien zurückkehrte, wenn er das Werk
187. Voltes Irrtum ist begreiflich, da das Berliner Exemplar —
rein technisch betrachtet — vollständig ist. Wahrscheinlich wurde der
verkleinerte halbe Aodruck des 49 X 66,1 cm großen Blattes als Illu¬
stration für einen Folioband hergestellt.
188. G e i s b e r g , M., Der deutsche Einblatt-Holzschnitt in der
1. Hälfte des 16. Jh. 39. Lieferung. München 1927. Blatt 7.
189. Beispiel: Simson, 1525. — Buchner, E., Der ältere Breu
als Maler. E. Buchner u. K. Feuchtmayr, Augsbg. Kunst der Spätgotik
und Renaissance. Augsburg 1928.
190. Beispiel: Geschichte der Esther, um 1550. Abbildung bei
191. ^Tietze, H., Albrecht Altdorfer, Leipzig 1923. Abb. 149.
192. R ö t t i n g e r S. 45.