2. Probleme -er Rekonstruktion
Das Nebeneinander dieser zahlreichen Möglichkeiten er¬
schwert die Einzelrekonstruktion sehr. Denn wenn auch für
das einzelne Drama die Zugehörigkeit zu einer der Haupt-
gruppen meist sicher zu bestimmen ist, so fehlen doch noch immer
die Einzelheiten, die zur genauen Bestimmung der wirklich
zugrundeliegenden Bühnenform erforderlich sind. Aus einem
einzigen Text läßt sich wohl erkennen, ob das Drama das
Vorhandensein eines rückwärtigen Bühnenabschlusses oder eines
Innenraumes außer der neutralen Spielfläche voraussetzt, ob
es einen oder mehrere Zugänge zur Bühne erfordert.
Nicht aber ergibt sich, welche Form die Rückwand hat,
ob Vorhänge zwischen Vorder- und Hinterbühne vorhanden
sind, wie die Lage der einzelnen Zugänge anzunehmen ist.
Zum Aufschluß über solche Einzelheiten kann erst der Vergleich
mehrerer — nachweisbar für die gleiche Bühne bestimmter —
Texte führen, ferner Vergleich des Textes mit dem Raum oder
Bild der Aufführung.
l. Text.
In jedem Fall ist der Text das wichtigste Material für
die Rekonstruktion, denn er enthält die Bühnenvorstellung des
Dichters. Man könnte dagegen einwenden, daß die Bühnen¬
vorstellung des Dichters allein nicht genüge, sondern daß zur
Rekonstruktion es vor allem auch auf die Bühnenvorstellung
des Spielleiters ankommt. Dieser Einwand erledigt sich von
selbst, wenn man sich von jeglicher Beeinflussung durch Mo¬
dernes freimacht und die Spielleitung als das sieht, was sie
in der damaligen Zeit tatsächlich ist: ein durchaus unselbständiger
untergeordneter Dienst am gegebenen Text. Wenn man von
der großen Zahl der Aufführungen absieht, bei denen der
Dichter selbst zugleich Spielleiter ist, wo also die Ueberein¬
stimmung von Bühnenvorstellung und ,,Regieabsicht" nicht
erst bewiesen zu werden braucht, so ergibt sich aus den hand¬
schriftlichen Eintragungen der Regiebücher und den Bear¬
beitungen vorhandener Stücke für eine Bühne, für die sie
nicht ursprünglich bestimmt sind, daß eine Abweichung von
Drucktext und Spieltext überhaupt in keinem Fall angenommen
zu werden braucht. Entweder ist die vom Dichter geforderte
Bühne wirklich vorhanden: dann wird das Stück unverändert
gespielt. Widerspricht das Drama der Bühnenvorstellung des
Spielleiters, so wird es für seine andere Bühne von Grund
auf umgearbeitet. Das aber ist gleichbedeutend mit der Ent¬
stehung eines neuen Stücks. Eine solche Bearbeitung er¬