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in Wirklichkeit ist Sachs ein Lobsprecher des „liebseligen Ehe¬
standes". Nber anders als der historische Sachs verzichtet Wag¬
ners Held auf einen zweiten Ehebund, wichtiger sind die Ab¬
weichungen im Charakter des Meistersingers. Zwar besaß auch
der geschichtliche Sachs (wie Goethes Gedichtheld) Liebe, Welt-
frömmigkeit und Humor, aber er war nicht der naive Dichter,
den „poetische Stimmung, Glieder, leise Melancholie" beherschenh.
Seine intellektuelle und ethische Tiefe, sein Pessimismus, seine
Selbstüberwindung, sein Begriff des Wahnes sind dem Nürn¬
berger des 16. Jahrhunderts fremd,' sie entstammen der Lebens¬
philosophie Wagners und Schopenhauers und sind an Hans Sachs
ebenso anachronistisch wie die verwandten Eigenschaften von
Wagners Tristan, Wotan und parsifal. Und wie Goethes Helden
so fehlt dem Wagners die religiöse und kirchliche Begeisterung.
Sachsens Stellung zu der Persönlichkeit und der ungezügelten
Naturpoesie eines Stolzing, der, wie einst Holz, wie später Wagner
selbst, durch seine neuen Begriffe von der Kunst das Entsetzen
der berufsmäßigen Kunsthüter hervorrief, ist das des Vermittlers.
Buch der historische Sachs vermittelte zwischen den Parteien
unter den Nürnberger Meistersingern, und durch seine Bevor¬
zugung weltlicher Stoffe sowie durch seine Annäherung an Klänge
des Volksliedes trat er der Masse des Volkes näher als die
übrigen Meister und verdiente sich andrerseits die Gegenliebe
seiner Mitbürger.
Die Stellung von Wagners Sachs zur Kunst des Meister¬
gesangs ist allerdings geschichtlich nicht ganz getreu: weder in
seinem Mißtrauen gegenüber den anderen Meistern noch in seinem
Appell ans Volk, noch in seiner Krönung der unzünftigen Kunst
Walthers oder gar in seinem Kampfe mit der dichterischen Ein¬
gebung, die sich nicht zwingen lassen will. Der historische Sachs
betrieb auch seine Kunst im wesentlichen als Handwerk, und es
fiel ihm nicht ein, sich abseits der übrigen Meistersinger zu stellen.
Wagner stellte seine Hauptfigur aus dramatischen Gründen über
die Masse seiner Dichterkollegen, ohne diese letztern aber allzu¬
sehr zu schädigen: es sind wackere, wenn auch beschränkte Leute,
die sich einer Belehrung zum Bessern nicht unzugänglich zeigen.
*) vgl. L. v. 5 ch r e n k, R. Wagner als Dichter, München 1913 5. 165ff.