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Zunge') fehlt, bei sachlicher Verwandtschaft, ein äußerer Zu¬
sammenhang zwischen dem Liede und der ersten Spruchfassung;
die zweite Spruchdichtung zeigt sich inhaltlich vom Liede, formell
vom ersten Spruch beeinflußt.
Bei der großen Mehrzahl dieser Doppelbearbeitungen ist
aus den angegebenen Gründen der künstlerische Wert der Spruch-
fassung höher als der des Liedes, ein Urteil, das der zweite
Teil dieser Hrbeit bestätigen wird durch den Nachweis, daß in
den lyrischen Fassungen von irgend welcher Nücksichtnahme auf
die strophische Form, von irgend einer architektonischen Unord¬
nung des Stoffes ebenso wenig die Nede sein kann wie über¬
haupt von einem lyrischen Charakter der Schwankstoffe.
Unter den Dichtern der Vergangenheit, deren Ausnutzung
sich Hans Lachs angelegen sein ließ, nimmt Gvid einen hervor¬
ragenden Platz ein"). Uls Vorlagen dienten eine Uebersetzung
von zehn Historien Ovids durch Bruno von hyrtzweil (1541) und
besonders Wickrams Übersetzung von 1545, aber auch Boccaccios
Werke, die inhaltlich auf Dvid zurückgehn: Oe Claris mulieribu?,
von dem Hans Sachs eine Ausgabe des 15. Jahrhundert benutzte;
Oe casibus virorum ülustrium (deutsch von Ziegler 1545) und
Genealogia deorum, von der keine deutsche Übersetzung be¬
kannt ist. Auch ein Werk des päpstlichen Uammerherrn polydorus
diente ihm als (Quelle. Lachs bezeichnete oft Gvid auch dort
als seine Vorlage, wo er aus Boccaccio geschöpft hatte, oder be¬
ruft sich gar in einer Strophe auf Gvid, in der nächsten aus
„polidorus^).
Auch bei den Bearbeitungen Gvids durch Hans Sachs machen
wir die Beobachtung, daß der Dichter die Neuerscheinungen der
zeitgenössischen Literatur mit regem Interesse verfolgte und, wenn
ihm ein neues Werk zusagte, dieses sogleich für seine Dichtung
verwertete; die Zieglersche Übersetzung von Boccaccios Viri illustres
war am 22. Februar 1545 ediert worden, am 22. April desselben
') III 36: werke III 360: Schwanken 291.
2) vgl. zum Folgenden besonders Drescher, Studien II.
3) So Drescher, Anhang Nr. 25.