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Keiner Persönlichkeit und keinem Stande halt macht: Kaiser
und Städte, Fürsten und Herren, Bauern, Uichter, Soldaten, die
Weiber und die anmatzlichen Länger müssen sich seinen Tadel
gefallen lassen. Hber wo Muskatblut trotz aller Kritik hoffnungs¬
freudig gewesen war, da ist Veheim verbitterter und verbissener
Pessimist, stets unzufrieden und einseitig, stets ohne auch nur be¬
schränkte Anerkennung des Guten, ein Mensch, der keines frohen
Uufblicks, selten nur eines lebhafteren Effekts fähig war. Noch
mehr als bei Muskatblut hat bei ihm die Zcheltpoefie die scho¬
lastisch-theologische Dichtung, die Minnelieder und die Gedichte
ohne Tendenz zurückgedrängt. Dabei zeigt sein Talent eine
formelle Unausgeglichenheit, die ihn neben temperamentvollen
und auch sprachlich durchaus lesbaren Gedichten die fadesten silben¬
zählenden Ueimereien, neben sangbarer Tonsührung in einigen
seiner hauptmelodieen (gekrönte weise, Osterweise) die trockensten
Uecitative schreiben ließ.
Unharmonisch wie seine Dichtung ist auch der Charakter des
Mannes. Ein schwacher Wille bei starkem Talent hat aus ihm
fast im idealen Sinne eine problematische Natur gemacht. Die
Notwendigkeit, fremden Herren zu dienen, auf der einen Seite,
ein starker Freiheitsdrang und ein übertriebenes Selbstbewußtsein
des Künstlers auf der andern haben den launischen, extrem ver¬
anlagten, unruhigen und nirgendsauf die Dauer befriedigten Dichter
von Land zu Land, von Hof zu Hof, von Stadt zu Stadt ge¬
trieben. wieder und wieder hinderte ihn der Mangel jeglichen
diplomatischen Geschicks daran, sich zu der höfischen Umgebung
der von ihm gelobhudelten hohen Herren in ein erträgliches Ver¬
hältnis zu setzen, so daß er stets nach kurzer Zeit in die unerquick¬
lichsten Streitereiengeriet, bei denen er schließlich doch den kürzeren
zog. Dabei hatte er sein ursprüngliches Weberhandwerk, und
mit ihm seine persönliche Unabhängigkeit, freiwillig ausgegeben,
da er sich in der Kunst zu hohem berufen fühlte. So ist sein
Leben, das er einer heiligen Sache zu widmen gedachte, un¬
befriedigend und qualvoll verlausen, und das Tnde war Menschen¬
verachtung und humorlose Nörgelei, die den phantasielosen, aber
an politischen und sozialen Dingen lebhaft Unteil nehmenden
Mann, den zum Bohemien gewordenen Spießbürger, den Dichter,
der selten nur herzlich und gemütvoll, eher einmal grotesk und