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Einleitung.
1. Die materiellen und geistigen Grundlagen
des Meistergesangs.
Die Stellung des Meistergesangs innerhalb der deutschen
Kulturgeschichte ist in den letzten hundert Jahren, bei aller Ver¬
schiedenheit der Ausgangspunkte und der Wertung des Einzelnen,
doch im wesentlichen übereinstimmend beurteilt worden. Jacob
Grimm hat in seiner Schrift vom Jahr 181V) sogleich die haupt-
gesichtspunkte gekennzeichnet, indem er, wenn auch den Zusammen-
hang zwischen beiden Erscheinungen zu stark betonend^), die Her¬
kunft des Meistergesangs aus der mittelhochdeutschen Minnelyrik
nachwies und den nationalen und sittlichen Charakter der meister-
singerischen Tätigkeit hervorhob: ist doch der Meistergesang, ab¬
gesehen von gewissen formalen Einwirkungen, die er erfuhr, vom
romanischen Kurland unbeeinflußt geblieben- und hat doch an¬
drerseits die Bedeutung der Meisterkunst für das moralische
Dasein weiter volkskreise dem Forscher von jeher die Pflicht
auferlegt, den Meistersang im allgemeinen Rahmen der Kultur¬
geschichte zu betrachten?) Vielfach hat man sogar die Haupt¬
bedeutung des Meistergesangs in den außerkünstlerischen Wir¬
kungen, die er erzielte, zu erkennen geglaubt: in seinen Ver¬
diensten um Verbreitung und Ausbau der neuhochdeutschen Schrift¬
sprache, in dem starken Rückhalt, den er der Reformation bot,
in der Popularisierung des gelehrten Wissens seiner Zeit und
vor allem der Lutherschen Bibelh.
') Iac. Grimm, über den altdeutschen Meistergesang, Gött. 18U,
S. 171. 11. 9.
2) Noethe, Zum dramatischen Aufbau der wagnerschen „Meister¬
singer", Sitz.ber. d. preuß. AK. der Miss. 1919, 5. 684.
s) vgl. auch 3ofj. Christoph wagenseil, Vs . . Civitate Noribergensi
Commentatio. Accedi* . . von der Meistersinger Origine . . Altdorfi 1697
S. 559 f.
4) Mar Koch, Meistersinger. Vortrag. Bapreuther ölätter, Bd. 13,
heft 4/5 (1890), 5. 117. vgl. auch Th. Hampe, Spruchsprecher . . , Mit¬
teilungen a. d. german. Nat. Museum, Nürnberg 1894, S. 69.