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ganzen äußern Erscheinen vor Ihnen sich darstellt als eine Persönlichkeit, deren
nervöie Aufregung sich mit jedem Tage steigert, und zwar der Art, daß der
Beschuldigte seine eigenen Interessen nicht mehr vollständig wahrzunehmen
vermag, daß er selbst den Gesichtspunkt, sich das Wohlwollen der Richter
möglibst zu erhalten, außer Acht läßt. Diesen Gesichtspunkt hat der
Beschuldigte mehrfach in einer für die Vertheidigung wirklich peinlichen
Weise bei Seite gesetzt. Der Zustand des Beschuldigten ist nach meiner
Ueberzeugung ein solcher, daß derselbe nicht mehr in der Lage ist, die
Tragweite seiner Worte vollstänvig zu übersehen, und daher auch nicht
schlechthin verantwortlich gemacht werden kann für feine Worte und seine
Gefühlsäußerungen. Speziell kommt noch hinzu, was am gestrigen Tage
bei Vernehmung des Zeugen Dr. Strauß vor sich gegangen ist. Es war
dieses Zusammentreffen insbesondere mit Rücksicht auf die gegenseitige
Stellung der beiden Persönlichkeiten geeignet, die Aufregung des Be¬
schuldigten bis zum äußersten Grade zu steigern. Das Gericht hat ja
den Eindruck erhalten müssen, und der Hr. Präsident hat dem auch Aus¬
druck gegeben, daß der Referendar Strauß bei Abgabe seines Zeugnisses
aus der Rolle eines Zeugen völlständig h e r a u s g e t r e t e n ist, indem er sich
befugt erachtet hat, vor dem ganzen Publikum und dem Gerichte zu sagen,
daß er dem Beschuldigten Dr. Thö nes, während er für andere, namentlich
den Pastor Neur., Sympathie hege, eine ausgeprägte Antipathie entgegen
trage. Diese Aeußerungen des Tr. Strauß hätten vielleicht unter anderen Ver¬
hältnissen — iveun Dr. Strauß nicht Zeuge wäre, wodurch er rechtlich geschützt
ist — wohl Gegenstand eines Antrages wegen Beleidigung sein können.
Weiter hat Dr. Strauß ein wissenschaftliches Werk des Beschuldigten
beurtheilt, eine Arbeit, welche in das Gebiet einschlägt, welches der Be¬
schuldigte beherrscht, während wir keine Anhaltspunkte dafür haben, daß der
Zeuee auf diesem Gebiete zu Hause ist; und zwar hat der Zeuge ein
abfälliges Urtheil über dieses Werk des Beschuldigten, über seine
Dissertation: „Ter h. Thomas von Aquin" gefällt und hat ihn in
seiner Schriftsteller ehre angegriffen — er sprach von „Plagiaten". Ich
kann meinerseits konstanten, daß diese Arbeit in sehr hervorragenden
Zeitschriften, selbst in solchen, welche nicht auf dem Standpunkte de» Ver¬
fassers stehen, in der anerkennendsten Weise rezensirt worden ist. Nicht
nur in der .Civilta caltolica' und in den ,Historisch-politischen B'ät'enck,
'ondern auch in der von Sybel'jchen Historischen Zeitschrift' wurde die¬
selbe als eine tüchtige Leistung charakterifirt. Wenn unter diesen