Die deutsche Regierung präzisiert noch einmal ihren Standpunkt
in der Saarfrage wie folgt:
Die Grenzen des Gebiets, dessen Staatszugehörigkeit „en
compensation de la destruction des mines de charbon dans le
Nord de la France“ in Frage gestellt wird, sind so gezogen,
daß es weit über das Kohlenvorkommen hinausgreift und außer
diesem umfangreiche Forsten, zahlreiche Kalkwerke, Glashütten
und sonstige sehr lohnende, zum Teil weltberühmte Industrien
umfaßt. Diese würden durch die neuen Zollgrenzen in den
Wirtschaftsinteressenkreis Frankreichs einbezogen, so daß
andere, mit der Entschädigung für die zerstörten Gruben in
keinerlei Zusammenhang stehende Zwecke erreicht werden.
Aber auch wenn nur die Abtretung der Kohlengruben an den
französischen Staat gefordert würde, so stünde auch das in
keinerlei Verhältnis zu dem Zweck der Entschädigung für die
zerstörten französischen Bergwerke. Die deutsche Regierung
ist, wie sie bereits in ihren Noten vom 13. und 16, Mai erklärt
hat und wie in der vorliegenden Denkschrift an anderer Stelle
nochmals ausgeführt ist, bereit, durch Lieferungsverträge und
Beteiligungen den in Rede stehenden Kohlenbedarf sicherzu¬
stellen.
Auch nach der von den alliierten und assoziierten Regierungen
in ihrer Note vom 22. Mai über die Wirtschaftslage zum Aus¬
druck gebrachten Überzeugung wäre es ein grundlegender Irr¬
tum, zu glauben, es sei notwendig, in einem Lande politische
Oberhoheit auszuüben, um sich dadurch einen angemessenen
Teil der Erzeugung sichern zu können. Eine solche Auffassung
gründet sich auf kein wirtschaftliches und politisches Gesetz.
Die Abtretung wäre eine zwar schnelle, aber ungerechte
Lösung dieses Problems, Der Wiederaufbau der nordfranzö¬
sischen Bergwerke wird allerhöchstens nach 10 Jahren beendet
sein. Der jährliche Förderausfall, zu dessen Deckung Deutsch¬
land verpflichtet ist, wird nach den Angaben der französischen
Regierung selbst in den ersten Jahren äußersten Falles 20 Mil¬
lionen Tonnen pro Jahr erreichen. Die Kohlenvorräte der nord-
französischen Gruben sind durch die Zerstörung überhaupt nicht
vermindert worden. In den Saargruben sind mit Sicherheit über
11 Milliarden Tonnen Kohlen nachgewiesen, eine Menge, die
ungefähr für 1000 Jahre ausreicht.
Frankreich würde also durch die Eigentumsübertragung dieser
Bergwerke das Hundertfache dessen erreichen, was es
selbst als das Höchstmaß seiner berechtigten Forderungen be¬
zeichnet. Um dies durchzuführen, stellt der Friedensentwurf
eine Forderung, durch die rein deutsches Gebiet vom Deutschen
Reiche losgerissen, wirtschaftlich Frankreich überantwortet und
der Versuch gemacht wird, es auch politisch Frankreich anzu-
gliedern.
Es gi£>t keinen Industriebezärk in Deutschland, dessen Bevöl¬
kerung so bodenständig, so einheitlich und so wenig „komplex“
ist wie die des Saarreviers. Unter den mehr als 850 000 Ein¬
wohnern waren 1918 noch nicht 100 Franzosen. Seit mehr als
1000 Jahren (seit dem Vertrage von Mersen im
Jahre 870) ist das Saargebiet deutsch. Vorübergehende Be¬
sitznahme durch kriegerische Unternehmungen Frankreichs
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