56
IV. Das Naturwirkliche.
und Unwesentlichkeit. Mit Sicherheit sind vor aller näheren Unter¬
suchung nur die letzten, unzerlegbaren Ordnungsbestandteile, an¬
schaulicher wie unanschaulicher Art, „wesentlich“. Hier, meine ich,
sollte die e««enha-.Lehre der Phänomenologie schärfer sondern. Es
handelt sich in neuem Gewand um die alte Frage, ob es von „Allem“
Ideen gebe oder nicht.
Das jedes einfache oder zusammengesetzte Etwas auch „Sosein“
hat, ist ja klar. Aber nur Soseins-letztheiten und wesentliche
zusammengesetzte Soseins-einheiten lohnt es sich denn doch wohl
„phänomenologisch“ zu erforschen; wesentliche Soseinseinheiten aber
kennen wir mit Sicherheit bis jetzt nur aus den Bereichen der
Psychologie und der eigentlichen Naturwissenschaft, wir vermissen sie
ln einigen Gebilden des Kulturhafteu (aber durchaus nicht in allen).
Übrigens sei auch au dieser Stolle wieder gesagt *), daß die scharfe
Scheidung von essentia und existenlia im Sinne des hie et nunc durchaus
nicht primär ist, sondern erst aus dem „Gegebenen“ erwächst. Denkbar
ist es, daß alles Etwas zugleich als die eine essentia und existentia
in seiner Gesamtheit geschaut würde („ordnungsmonistisches Ideal“).
Das „ist“ nicht so; aber erst, weil es nicht so ist, gewinnen die Be¬
griffe essentia und Sonder-oxistentia ihren Sondersinn.
Und das Gegenstück hierzu, das auch am Gegebenen hängt;
Wäre jede hic et nunc-existentia von jeder anderen ganz verschieden,
dann wäre wohl auch der Sonderbegriff essentia nicht geschaffen
worden. Hier liegen dio Wurzeln des „Universalienproblems“ *). —
Husserls Phänomenologie hat zwei Seiten, welche durch die
Termini Noema und Noesis bezeichnet ■werden. Bisher haben wir nur
von der Essentia der Noemata, d. h. der „Gegenstände“ schlechthin,
geredet. Die Noemata sind es, von denen wir sagten, daß sie nur,
insofern sie Letztheiten oder „wesentliche“ Einheiten seien, eine Essentia
in tieferem Sinne überhaupt besäßen. Die Festlegung ihres geschauten
Wesens geschieht im Wege der auf Schauen gegründeten Definition.
Noömata sind also schlichte Bedeutungen, bzw. Bedeutungskomplexe,
oder sie sind die Essentiae empirischer oder metaphysischer Gegenstände.
Die Noesü ist das unmittelbar vor dem Bewußtsein Stehende,
durch welches ein Noüma erfaßt wird; aber nicht als jetzt Erlebtes,
sondern seinem Erlebnisircsen nach. Noesis- Lehre unterscheidet sich
von „deskriptiver Psychologie“ durch das Absehen vom nunc; sie han¬
delt gleichsam vom Wesen seelischer „Dinge“; die „Denkpsychologen“
arbeiten zu einem guten Teil auf dem Felde der Noösis-Lehre, oft
ohne es zu wissen und zu wollen. Auch im Rahmen der Noüsis-Lehre
tritt nun natürlich die Frage auf, was wesentliche Essentia sei und
was nicht; und die Entscheidung ist hier wohl noch schwieriger als
J) s, oben S. 25.
*) S. Wirklichkeitslehre S. 142 ff.