XI. Schluß.
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daß meine Seele es in geringerem oder höherem Grade kann,
und das stärkt mein Wollen, welches ja selbst ein Schauen
ist. In diesem Sinne „arbeite ich an mir selbst“. Freilich
ist das kein Ich-tun; es „tut“ meine Seele nach Maßgabe
ihres besonderen Wesens; für „mich“ gibt es wieder nur
Glauben, Vertrauen und Ergebenheit. Aber die Menschheit
fährt nicht schlecht bei dieser Einsicht.
„Erziehung“ aber ist noch viel leichter als rein objektiver
Tatbestand zu schauen als Arbeit an sich selbst, ohne ihren
Wert einzubüßen: Es ist einmal so im Rahmen der empirischen
psycho-physischen Wirklichkeit, daß menschliche Personen
einander durch Wissensübermittlung, Willen und „Suggestion“
beeinflussen. Sie sind geradezu aufeinander abgestimmt mit
Rücksicht auf solche Beeinflussung. Auf Grund ihres Wissens
um die Möglichkeit solcher Beeinflussung „wollen“ nun die
Einen, die Lehrer, beeinflussen und „wollen“ die Anderen,
die Schüler, beeinflußt werden. Und es geschieht. Wir aber
dürfen vertrauen, daß es im großen und ganzen gut geschehe,
denn wir lassen, (weil es sonst in seinem Dasein gar nicht
verständlich wäre), unser Gut-befinden einen Wesensausfluß
des Ganzen sein.
Wie kommt es wohl, daß von Alters her Männer von
tiefstem Geiste sich so sehr gesträubt haben und noch sträuben
gegen die Annahme zweier Lehren, die doch das Sicherste
darstellen von allem, was es an Wissen gibt: Gegen die
Lehren, daß das ursprüngliche reine Ich ganz auf sich selbst
gestellt ist und daß es nichts „tut“? Aus dem heißen Wunsch
nach Sicherheit, nach fester Verankerung, aus einer gewissen
Hilflosigkeit stammt, so meinen wir, dieser seltsame Sach¬
verhalt1). Da windet man sich denn in qualvollem Denken,
*) Nietzsche: XIV S. 17 (Nr. 26) „Der Wille zur Wahrheit
und Gewißheit entspringt aus Furcht vor Ungewißheit“. S. 19 (Nr, 30)
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