Full text: Die Krise des Idealismus

ganz beherrscht von einer höchsten, der Mathematik 
und der Gestalt der logischen und der ethischen Eu- 
rythmie gemäßen Formkraft und Formeinheil auf¬ 
haut. Also das „klassische“ Formprinzip. Natürlich 
wird von der Seite des Realismus kein Einspruch laut 
gegen die Schönheit, gegen die beseligende und erlö¬ 
sende Wirkung dieses Prinzips. Er lehnt sich aber 
auf gegen die Vergottung dieses Prinzips. Auch seine 
Vertreter empfinden selbstverständlich die erlauchte 
Größe in der Formenklarheit einer griechischen 
Plastik, die unvergleichliche Wohlabgewogenheit in 
der Gestaltung eines hellenischen Tempels. Und sie ver¬ 
stehen es natürlich auch, wenn diese Kunstform und 
Geistesart als Vorbild hingestellt wird, sobald und 
solange der Mensch von den gedanklichen, seelischen 
und moralischen Voraussetzungen des Griechen- und 
Hellenentums aus in der Philosophie und in der 
Kunst tätig ist und tätig sein kann. Aber der Wan¬ 
del der Stimmungen und Gesinnungen, die geschicht¬ 
liche Entwickelung der Kultur, das Auftreten neuer 
Zeiten und neuer Generationen, die aus eigenem und 
neuem Erleben neue und eigene Formen des innern 
und des äußeren Daseins suchen hzw. hervorgebracht 
haben, mit anderen Worten: die unermüdlichen und 
unendlichen Schöpfungskräfte des menschlichen Gei¬ 
stes widersprächen der Gnbedingtheitserklärung der 
„idealistischen“ Geistesform, sie widersprächen und 
widerstünden ihrem Anspruch auf unumschränkte Gel¬ 
tung und Herrschaft. 
Aus diesem Widerspruch und Widerstand ist be¬ 
kanntlich der jahrtausendealte Streit des Realismus 
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