Gestalten und Formen offen und frei zu berücksich¬
tigen, und hinsichtlich der tatsächlichen Erfüllung
dieser Forderung scheint nun der Idealismus wieder¬
um zu versagen. So urteilt wenigstens der Realismus,
und so muß eine realistisch gestimmte Morphologie
auch urteilen. In welcher Beziehung zeigt sich dieses
Versagen des Idealismus? Der ihm eigentümliche
Konstruktionsdrang führe und verführe zur Unterstel¬
lung der Formenfülle unter ein oberstes und höchstes,
spekulativ ersonnenes Formprinzip. Auf diese Weise
gelangen die einzelnen Formprinzipen nicht zu der
ihnen gebührenden Beachtung und Entfaltung. Ent¬
weder würden sie nur als Abzweigung aus jener
höchsten Einheit, als ihre Glieder und Stufen aufge¬
faßt, oder sie würden noch nicht einmal als solche rea¬
len Nebenzweige und Unterstufen anerkannt, sondern
nur als unleidliche Entartungen, als Übergangsfor¬
men, als flüchtige Gestalten einer vorübergehenden
Zeit- oder Modeströmung angesehen. Jedenfalls wür¬
den ihnen entweder ihre Ewigkeit oder ihre Selbst¬
ständigkeit und ihre selbständige Berechtigung ab¬
gesprochen.
Hinzu käme eine durchaus einseitige und künst¬
liche Deutung und Absolutheitserklärung jenes höch¬
sten und obersten Formenprinzips. Was heißt das?
Gemäß seiner Herkunft und Artung könne der Idealis¬
mus nur dasjenige Forraprinzip als gültig ansehen,
das die Merkmale des griechischen Geistes, der grie¬
chischen Kunst, der griechischen Denkform aufweist,
das sich ganz rein, ganz klar, ganz harmonisch, ganz
symmetrisch, ganz streng in der Gliederung der Teile,
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