ge sittliche Trieb, der darauf gerichtet ist, Gerichts¬
tag über den Menschen und über die ererbten und
uns angesonnenen Güter und Werke abzuhalten. Der
tiefste Sinn dieses Strebens besteht in der Erfüllung
der heiligen Pflicht zur Selbsterkenntnis.
Sobald jedoch ein Mensch und ein Zeitalter sich
zu dieser heroisch-kritischen Haltung entwickeln, tre¬
ten sie in die autonome, weil durch den Menschen
selber hervorgerufene Situation der Krisis ein. Jene
kritische Haltung steigt auf aus der schöpferischen
und eigenwilligen, aus der nicht einzudämmenden und
ihre Macht immer wagenden Kraft des Geistes und
des Lehens. Sie ist eine überlegene und notwendige Be¬
dingung der Geschichte, Sie gehört zu ihren Wesens-
formen und Wesenszügen, in denen sich nicht bloß
das geschichtliche Sein des Menschen, sondern auch
sein geschichtlicher Wert und Sinn erproben. Wegen
ihrer natürlichen Zuordnung zu dieser schöpfe¬
rischen Geisteshaltung der Kritik, der Freiheit, der
Verantwortlichkeit bedeuten auch die geschichtlichen
Krisen keine Zufalls- und keine zeitlich beschränkten
Begleiterscheinungen und keine vermeidbaren Ne¬
benprodukte des geschichtlichen Lebens. Sie sind
in keiner Weise etwa von unruhigen Köpfen künstlich
gemacht. Deshalb stellen sie eine Gruppe im Ge¬
samtkreis und in dem Gesamtwirkungszusammen-
hange derjenigen Formen und Gestalten, derjenigen
Werte und Gehalte dar, in denen und kraft derer der
Mensch sich in der Geschichte wesenhaft verwirklicht,
bewährt und beglaubigt.
27