eine aus sozialen Gründen zweckmäßige Fiktion er¬
blicken zu können glaubte. Vaihingers Fiktionalismus
offenbart seinen Positivismus in der Entwicklung der
Ansicht des „Als Ob-Charakters“ der Freiheit. Der
Mensch brauche sich nicht um den doch niemals
zu erbringenden metaphysischen Nachweis zu küm¬
mern, ob es wirklich Freiheit gäbe oder nicht. Die
Wissenschaften hätten in immer zunehmendem Um¬
fange unsere Unfreiheit bewiesen. Es genüge vollauf,
so zu tun, als ob es eine Freiheit gäbe. Die Berech¬
tigung dieser Annahme liege in der Notwendigkeit der
Selbsterhaltung der menschlichen Gesellschaft gegen¬
über verbrecherischen Naturen, die dann auf Grund
jener Fiktion strafrechtlich zur Verantwortung gezo¬
gen und bestraft werden könnten.
Das ist keine Rettung der Freiheitsidee, sondern
ersichtlicherweise nichts anderes als die Kapitulation
vor den Ergebnissen der wissenschaftlichen For¬
schung. Ja, vielleicht noch mehr, nämlich ihre äußer¬
ste Verleugnung, weil ihre äußerste Relativierung und
damit einfach ihre Preisgabe. Jene Idee wird ernie¬
drigt zu einem je nach Bedarf anzuwendenden, rein
aus Nützlichkeitserwägungen heraus geschaffenen
Werkzeug im Dienst der sozialen Selbsterhaltung. Die
Idee der Freiheit wird zu einem Handlanger im Inter¬
esse des Lebens. Die Rücksichten auf die Vorteile des
Lebens üben die entscheidende Herrschaft aus über
die Entstehung und über die Geltung der Idee. Der
äußerste Gegensatz zur idealistischen Auffassung des
Freiheitsgedankens ist damit erreicht.
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