Full text: Die Krise des Idealismus

anschaulich, seelisch, moralisch bedeutungsvolle Wan¬ 
del hat sich damit vollzogen! ln dem Zustand der 
Selbständigkeit ist das erkennende Bewußtsein immer 
in einer eigentümlichen Bedrohung. Wo soll, wo kann 
es den Halt für sich, für seine Arbeit und für seine Er¬ 
gebnisse hernehmen? Wenn es auf sich selbst bezogen 
bleibt, steht ihm die Gefahr nahe, den sichernden An¬ 
schluß an die Realität zu verfehlen und höchstens 
zu einer formalen, aber zu keiner gegenständlichen 
Erkenntnis zu gelangen. Erfaßt und versteht es sich 
aber als ein Stück des Lebens, dann weiß es sich in der 
Allmacht dieser Realität geborgen und gegründet. Je¬ 
der seiner Schritte verläuft unter dem Schutze des 
Lebens und unter der Prüfung durch das Sein. Also 
nicht das erkennende Bewußtsein schafft die Grund¬ 
legung für das Sein, sondern umgekehrt, das Sein oder 
sagen wir besser: das Leben gewährt der erkennenden 
Vernunft die Grundlegung. In theologischer und re¬ 
ligiöser Ausdrucksweise würde diese Wendung und 
Entscheidung folgendermaßen ausgesprochen werden 
können: Gott als der Inbegriff alles Seins schafft der 
erkennenden Vernunft die Möglichkeit, die Gesetzlich¬ 
keit und die Gewißheit der Erkenntnis. Er ist ihr 
Fundament. 
Diese — uralte — Auffassung vom Wesen der Er¬ 
kenntnis und von ihrem Verhältnis zum Sein pflegt 
als Dogmatismus bezeichnet zu werden. Indem wir 
uns dieser Benennung als Charakteristik jener Hal¬ 
tung bedienen, die dem Realismus zugrunde liegt, ist 
uns nichts ferner, als mit ihrem Gebrauch ein ab¬ 
schätziges Werturteil über die Art des realistischen 
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