Full text: Die Krise des Idealismus

Doch da erhebt sich die Frage, oh diese Anthro¬ 
pologie den ganzen Menschen, vor allem den Men¬ 
schen in der reinen Idealität seines Denkens und 
seines Wollen» sieht, also den Menschen, der 
die unerhörte Begabung besitzt, sich in seiner 
Freiheit von seiner Gegebenheit zur Aufgegeben¬ 
heit, von seiner Realität zur Irrealität, von Sein 
zum Sollen zu erheben. Sobald jene Phänomenolo¬ 
gie die „idealen“ und als solche „irrealen“ Akte un¬ 
tersucht, z. B. das Bewußtsein des Sollens oder das 
der Pflicht, nimmt sie dieselben als tatsächliche Er¬ 
lebnisse, als tatsächliche Gefühle, nimmt sie sie als 
Seiendes! Diese Umsetzung des ideellen Sinnes eines 
Aktes in die Realität zeigt sich deutlich in der phäno¬ 
menologischen Erkenntnislehre Franz Brentanos. 
Nach ihr stellt das „Urteil“ nicht eine ideelle und 
apriorische Synthese im Sinne des kritischen Idealis¬ 
mus Kants dar, sondern einen Akt der Anerkennung 
bzw. der Verwerfung von Seiendem. Das heißt: Es 
enhält seinen Sinn und Wert vom Sein aus, und seine 
Geltungsart ist bestimmt durch denjenigen Bestimmt¬ 
heitsgrad, mit dem es Seiendes erfaßt. Wenn wir die¬ 
se höchste Geltungsart als „Wahrheit“ bezeichnen, so 
ruht der Grund der Wahrheit nicht in einer ideellen 
Forderung, nicht in einer nur in der Stimme der sitt¬ 
lichen Pflicht sich meldenden Norm, sondern in dem 
tatsächlichen Erlebnis der Evidenz, also in dem wirk¬ 
lichen Gefühl: So ist es und nicht anders. 
Oder denken wir an die allgemeinsten Forschungs¬ 
gegenstände dieser Phänomenologie und Anthropolo¬ 
gie, an die Gegenstände, die als die „Gestalten“ des 
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