Das Dasein tier Kunst.
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4.
Subjektivität der geschichtlichen Existenz
der Kunst.
Die Schwierigkeiten erneuern, vervielfältigen, verdichten sich.
Wenn jedes Wort oder Kunstwerk im allgemeinen ein hortus
clausus, ohne Zugang und ohne Ausgang ist — wie kann man ein-
dringen? Wie zu jenem inneren und tiefsten Kern gelangen, aus
dem Dichtung und Kunst entquellen? Wird man sagen, das Kunst¬
werk sei uns immer gegenwärtig, als ein angeborenes inneres
Erfassen unseres Geistes? Aber dann begegnet man der aus der
Geschichte der Philosophie wohlbekannten Schwierigkeit, die jeder
Lehre vom angeborenen Vermögen eigen ist. Denn es läßt sich
nicht erklären, wie diese Intuition bald sei, bald nicht sei, wie sie
bald außerhalb des Bewußtseins, bald in ihm, bald außerhalb des
klaren Bewußtseins — wenn man es vorzieht, sich in dieser ge¬
naueren Weise auszudrücken —, bald in ihm sei. Und es bleibt
immer das zu erklären, wofür man die Hypothese vom Übergang
aus der, wie auch immer verstandenen Außenwelt, in das Innere
erfunden hat. So bewegt man sich willkürlich, ohne sich um die
Erfahrung zu kümmern.
Die Einheit des Kunstwerkes als etwas Tatsächliches zugeben
und zugleich den geschlossenen Kreis an irgendeinem Punkte
durchbrechen wollen, um dort einzudringen und dann den Bruch
ungeschehen zu machen, ist etwas, was man sich einbilden, aber
nicht denken kann. Das ist der abstrakt geschichtliche oder der
storizistische Gesichtspunkt, von dem man empirisch behauptet, der
Gegenstand der Geschichtschreibung sei eine in sich erfüllte und
vollkommene Wirklichkeit, in die das geschichtliche Erkennen von
außen eindringt; den Zwischenraum aber zwischen der Vergangen¬
heit, der jene Wirklichkeit angehört, und der Gegenwart, in der
dieses Erkennen Gestalt annehmen solle, werde mittels historischer
Dokumente oder durch Überlieferung überwunden. Ein sinnloser
Standpunkt aus denselben Gründen, die ganz allgemein die Sinn¬
losigkeit jeden Empirismus zeigen. Wenn die historische Wirklich¬
keit der Vergangenheit und das aktuelle Erkennen einer späteren
Gegenwart angehörte, so würde der Geist als Urheber des ge¬
wünschten Erkennens begrenzt und bedingt werden, und es würde
ihm, da seine Freiheit vernichtet wäre, das Erkennen unmöglich.
Wo begegnet man übrigens Kunstwerken, wenn nicht in der
Vergangenheit? Die Gegenwart ist schon beansprucht für Unter¬