Full text: Philosophie der Kunst

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Die Aktualität der Kunst. 
hofft; aber die erste Kategorie, durch die man das Unbekannte 
erfaßt, das man zu entdecken strebt, ist die, daß es existiert. 
Es gibt einen entscheidenden Grund für diese Tatsache, den uns 
die Erfahrung vor Augen führt. Es ist der, daß der Gedanke 
nichts zum Objekt hat, wenn nicht sich selbst. Es mag sein oder 
nicht sein, daß wir mittels unseres Gedankens (Vorstellungen, Be- 
griffe, doch immer Gedanke) die Dinge, über die wir nachdenken, 
als außerhalb des Gedankens gestellt vorübergehend wahrnehmen 
mögen; aber sicher ist, daß, wenn wir sie nicht dächten, wenn diese 
Dinge also nicht in unserem Sinn, und zwar als Gedanke (oder als 
Objekt, dessen wir bereits bewußt sind) wären, alles Überlegen 
tatsächlich unmöglich wäre. Der Gedanke ist, wie wir gesehen 
haben, Selbst-Bewustsein, Leben und Entwicklung des Ich: Gedanke, 
der sich immer um sich selbst abmüht. Nosce te ipsum. Er ist der 
wahre und einzige Stützpunkt seiner selbst. Und er ist nicht nur 
existierend, sondern, wie wir ausgeführt haben, das einzige Exi¬ 
stierende oder das Existierende im allereigentlichsten Sinne, inner¬ 
halb dessen man behaupten kann, das alles existiere, was existiert. 
Er existiert nicht nur, sondern im Unterschied zu allen Wesen, die 
sich von ihm unterscheiden und auch existierend genannt werden, 
muß er existieren: er hat in sich den Vernunftgrund der Existenz. 
Er existiert, indem er, der Bejahung ist, sich bejaht, und er würde 
existieren, das heißt sich bejahen, auch wenn er sich verneinte. 
Und da der Gedanke nichts denken kann, was nicht in ihm und 
eine Form von ihm ist und was daher in ihm und als Form seines 
Daseins existierte, ist es nicht möglich, daß der Gedanke nicht 
Existenz hat. 
2. 
Die Kunst als daseiend. 
Jetzt geht es darum, die Kunst zu denken. Und es ist daher 
vor allem erforderlich, daß sie sich dem Gedanken als etwas, was 
da ist, vorstellt. Man muß daher, um einen Anfang zu finden, mit 
dem beginnen, was das gewöhnliche Denken darunter versteht. Wenn 
es „Kunst“ sagt, so denkt es z. B. an die „Göttliche Komödie“ oder 
an den „Canzoniere“, an die „Transfiguration“ oder an das „Jüngste 
Gericht“, an „Hamlet“ oder an die „Verlobten“, aber es denkt 
weder an die „Metaphysik“ des Aristoteles noch an seine „Poetik“, 
weder an „de docta ignorantia“ noch an die „Untersuchung über 
die Methode . . .“, weder an die „Ethik“ noch an die „Neue Wissen¬
	        
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