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Schluß.
Kunst der ernsten, religiösen, tief philosophischen Welt, in die
De Sanctis es gestellt hatte. Und sie löst es mit einer Lehre, die
nur dem, der die Ideen an ihrer Oberfläche betrachtet, der ihres
Vorgängers verwandt erscheinen mag. Die Kunst des De Sanctis
ist wohl Form, aber Form des Lebens; des Lebens in seinem ganzen
umfassenden Aufbau, mit seinem moralischen Wert, mit seinen
Idealen, mit der Wissenschaft, mit der Philosophie, mit seinem
religiösen Gehalt. Eine Form, die, trotzdem sie in sich jede ihrer
Voraussetzungen löst, eine Welt voraussetzt und in sich einschließt,,
die die Welt ist: die Idee in der tiefen Bedeutung, in der Hegel von
ihr sprach. Eine Welt, an der der Kritiker nicht uninteressiert
bleiben kann. Er muß sie in sich fühlen, und er muß sie mittels
der Kunst oder in seiner Kritik suchen, und daher wird er, ohne
daß er es sich vornimmt, zum Meister des Lebens werden, zum
„Professor“, wie De Sanctis vom Bewußtsein erfüllt war, es zu
sein, und wie alle mit größter Ehrfurcht fühlten, ihn nennen zu
müssen. Mit der Kritik und mit der Ästhetik des De Sanctis emp¬
findet jeder, in die Dichtung einzutreten und von ihr umschlossen
zu sein; hier findet er das ganze Leben mit allen seinen Gesetzen,
Nicht der Literat spricht mehr, sondern der Mensch. Daher legte
De Sanctis größten Wert auf die Feststellung: „Beachtet es wohl!
die Ästhetik der Form legt den Inhalt nicht beiseite.“ 14)
7.
Zu diesem Buch.
In dem vorliegenden Buch ist das Problem von De Sanctis mit
dem kritischen Bewußtsein der späteren Abirrungen wieder auf¬
genommen worden. Wir haben uns bemüht, die Kunst auf ihre
Quellen zurückzuführen und sie daher zusammen mit einer Philo¬
sophie zu denken, die ihre reine Natur und ihre wesentliche Funk¬
tion im Leben des ernsthaft verstandenen Geistes erfaßt, wie man
es von einer Philosophie fordern muß, die sich der eigenen sitt¬
lichen Verantwortung bewußt ist. In dieser Beleuchtung ist uns
die Kunst als etwas erschienen, das mehr ist als selbst die gött¬
liche Kunst des Genies, welche kommt, um Wunder zu tun: als
etwas Alltägliches, das uns aber wertvoller als selbst das Brot
ist; als das tiefe Leben, das uns mit dem mächtigen Leben des
14) In der Abhandlung: II Settembrini e i suoi critici (1869) in den Nuovf
saggi critici.