Die Unsterblichkeit der Kunst.
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denken; aber man ist noch weit davon entfernt, es wirklich zu
denken. Denn, um eine Sache zu denken, muß man sie gemeinsam
mit allen anderen denken, mit denen sie verbunden ist, damit das
Ganze nicht widerspruchsvoll werde. Und man denkt den Geist
zugleich unsterblich und von Grenzen umschlossen, über der Zeit
und in der Zeit, über dem Raum und im Raum: außerhalb des
Werdens, in dem alles, was ist, nicht ist, und innerhalb des ver¬
gehenden Werdens. So ist die geläufigste Auffassung der Un¬
sterblichkeit des Geistes noch die primitive und naive Platos, für
den der Geist durch die Wechselfälle der Natur hindurchgeht, ohne
daran teilzunehmen; in den Körper geschlossen, doch ohne wesent¬
lichen Zusammenhang mit ihm. Der Geist geht durch den gegen¬
wärtigen Körper, mit einiger Unbequemlichkeit und nicht ohne
Erschütterungen und Störungen in der wechselseitigen Folge von
Leben und Tod und der unlöslichen Verknüpfung von Sein und
Nichtsein der natürlichen Dinge; er ist aber zugleich fähig, sich zu
entfernen und sich loszulösen, um zu einer Welt aufzusteigen, die
völlig seiner nicht-materiellen oder — wenn man lieber will —
idealen Natur entspricht. Die Ewigkeit des Geistes ist vorwelt¬
liche, weltliche und überweltliche Existenz. Oder, beginnt auch die
Existenz mit der Schöpfung, so erstreckt sie sich doch immer über
die ganze Dauer des sterblichen Lebens und über die Zeit nachher.
In jedem Falle ist die Ewigkeit wie die Zeit eine Reihe von „vor¬
her“ und „nachher“; eine Folge von zusammenhängenden Momen¬
ten, die sich doch wechselseitig ausschließen. Die Folge ist endlich
in der Zeit; in der Ewigkeit ist sie unendlich, von jener Unendlich¬
keit, die dann nicht ein positiver Begriff ist, die sich in unlösliche
Antinomien verwickeln müßte, sondern sie hat den rein negativen
Charakter der Aufhebung jeder Grenze, Und unsterblich wäre so
das Leben, das immer dauert.
Eine phantastische Unsterblichkeit. Ein unsterbliches Wesen,
dessen Unsterblichkeit eine unendliche Dauer ist, weit entfernt
davon, immer zu leben, stirbt immer und lebt niemals. In einem
Fluß wird es immer Wasser geben, aber es wird nie das gleiche
Wasser sein. Wenn das Wasser des Stromes sich sein Bett gräbt, sich
einen Kanal schafft und dahinfließt, gibt es keinen Halt mehr; es
wird sich nicht mehr aufhalten und mit dem Wasser des Meeres
vermischen, und wenn wir den Fuß in den Schlund des tosen¬
den Stromes setzen, so sind wir verloren; er wird uns mit sich
reißen, dem Meer, dem Tod entgegen.