Kunst und Moral.
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(nicht ohne in die gleiche Geschichte Schriftsteller verschiedener
Sprachen mit einzubeziehen, wenn andere nationale Elemente sie
dazu bringen, sich in die gleiche Linie der geschichtlichen Entwick¬
lung zu stellen). Die Sprache, die man von den Lippen der Mutter
lernt, ist eine Voraussetzung des literarischen Kunstwerkes, und sie
mündet dort ein, mag auch immer, wer eine Dichtung oder einen
Roman liest, über die Sprache hinausgehen müssen, um zum Kern
der Kunst zu gelangen.
Wenn ferner die Sprache eines Schriftstellers nicht eben die
ist, die er empfing, sondern die, die er schafft, so gehört der Schrift¬
steller nicht nur wegen der Voraussetzungen seiner Kunst einer
Nation an, sondern eben gerade wegen seiner Kunst, soweit diese
zur Bildung des Nationalbewußtseins einen wesentlichen Beitrag
liefert. Um mit der Sprache zu beginnen: er schafft sie frei und
durch das seiner künstlerischen Aktivität innewohnende Gesetz,
ohne irgendwelche Sorge oder Absicht, zu der Bereicherung und
Vermehrung des geistigen Erbes seines Vaterlandes beizutragen.
Aber mag er sich auch streng in den Grenzen der autonomen
Kunst halten und „Part pour l’art“ schaffen — Kunst entsteht
nicht, wenn man sie nicht innerlich ernsthaft und religiös, das
heißt nach den Gesetzen der Sittlichkeit, ausübt. Und so gibt es
keinen Künstler, der nicht mit seinem besonderen Leben in das
Leben seines Volkes zurückflutete und so nicht — mag er wollen
oder nicht — einer der Genien oder Väter seines Vaterlandes
würde, der nicht ewig als solcher im Geist der noch nicht Geborenen
lebte, die die gleiche Sprache sprechen und die gleiche Erde be¬
wohnen und sich daran, wie an ihr Haus, gebunden fühlen und
bestimmte heilige Erinnerungen haben werden; denn sie sind an
ihre tiefste Persönlichkeit als Elemente der Subjektivität oder
dessen gebunden, was sie sein werden, und was sie zu sein wün¬
schen werden, um stets ihrer Natur treu zu bleiben und den in der
Welt eroberten Platz nicht zu verlassen.
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