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Die Attribute der Kunst.
suchungen einleiten, die uns zum Begriff eines bestimmten und
geschichtlichen Kunstwerks führen.
Überhaupt ist die Subjektivität jeder historischen Konstruktion
in keiner Weise willkürlich, und zwar deshalb nicht, weil der auf¬
bauende Gedanke seine Vernunftgründe in jedem Einzelteil seines
Gebäudes hat und haben muß. (Nur einer oberflächlichen Be¬
obachtung kann die Subjektivität wie die Wahrsager der Dante-
schen Hölle erscheinen, die mit rückwärts nach den Schultern ge¬
kehrtem Gesicht sich der Vergangenheit zuwenden, während es
keine Vergangenheit gibt, die von dem geschichtlichen Gedanken
selbst nicht rekonstruiert würde.) Und ein Dokument, dessen
authentischer Charakter bewiesen ist oder nicht bestritten werden
kann, ist einer der stärksten Vernunftgründe, auf die sich
das Gebäude des aktuellen Gedankens stützt. In sich selbst, das
heißt im System seiner Ideen, findet er sowohl das Dokument,
das er anwendet, als auch die Gründe seiner Authentizität: er
findet die Überlieferung; er findet den ganzen Grundlagenkomplex,
auf den der Realist in naiver Weise das Gebäude der Geschichte
stützen zu können glaubt, ohne zu merken, daß diese angeblichen
Grundlagen unter einer zerstörenden Kritik Zusammenstürzen
müßten, wenn eine entgegengesetzte Kritik sie nicht verteidigte,
das heißt nicht aufhaute und fortwährend neu aufhaute.
Folglich: die Kritik (und daher jede Übersetzung) fälscht und
stört nur das eingebildete Kunstwerk, die angebliche realistisch
verstandene Wirklichkeit: in Wahrheit verleiht sie geschichtliche
und ewige Beharrlichkeit im unsterblichen Leben des Geistes:
dem einzigen Kunstwerk, von dem man konkret sprechen kann.
9.
Die Geschichte der Kunst.
In der Kritik der Kunst liegt ihre Geschichte. Diese Geschichte
— nach allem Vorausgegangenen sollte es nicht mehr notwendig
sein, es zu bemerken — ist nicht die Geschichte überhaupt. Aber
jeder Kunsthistoriker sollte sich diese Bemerkung stets vor Augen
halten. Geschichte ist Selbst-Bewußtsein, das heißt Philosophie
selbst, soweit man unter Philosophie den Gedanken in seiner Fülle,
als Synthese von Subjekt und Objekt, als Theorie und Praxis in
ihrer Identität versteht. Die Kunst ist nur eine Seite der Ge¬
schichte, weil sie nur ein Moment der geistigen Synthese ist. Der
Inhalt, der vom Standpunkt der Kunst aus Technik ist, hat einen