Full text: Philosophie der Kunst

Die Kunst, die Künste und die schöne Natur. 
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der Analyse seiner Erfahrung überein. Es werden zwar die Pe¬ 
danten kommen und Regeln schaffen, mit denen sie die noch nicht 
geborene Dichtung in ihrer geistigen Entwicklung einzwängen 
werden. Aber der Normativcharakter, wie ihn beispielsweise der 
Begriff der Einheit von Zeit und Ort in ihrem Gedanken an¬ 
nimmt, ist für den, der die Dinge richtig betrachtet, kein Entwurf 
auf die Zukunft und gleichsam eine Vorwegnahme der der künftigen 
Dichtung immanenten Regeln, sondern gemäß dem Prozeß der 
Aristotelischen Poetik die Zergliederung der inneren Merkmale 
einer idealen Tragödie, die der Pedant der Poetik vor sich hat 
und, gleich als wäre sie schon geschrieben, auf der gleichen Ebene 
wie die Prometheus-Trilogie zur Voraussetzung nimmt. Geht es 
nicht offenkundig hei allen Regeln der Grammatik so, bei denen 
der Verfasser einer normativen Grammatik entweder die Beispiele 
der Schriftsteller gegenwärtig hat, oder im Geist Rede, Satz, 
Phrase, Wort, bei denen er seine Regeln anwendet, wiederholt? 
In diesem Falle liegt eine Normgebung vor; aber sie ist unver¬ 
meidlich auch für eine geschichtliche Behandlung, die den sprach¬ 
lichen Ausdruck nicht als eine mechanische Tatsache ohne irgend¬ 
welchen Wert mißhandeln will. 
Die Theorie der Literaturgattungen hat also nichts eigentlich 
Unzulässiges an sich. Es ist eine theoretische Betrachtungsweise 
geschichtlicher Erfahrungen, die Kategorien erzeugt, auf die der 
Gedanke, auch wenn er es möchte, nicht verzichten kann, der sich 
solcher Erfahrungen nicht berauben kann, und von denen der Ge¬ 
danke stets guten Gebrauch machen wird, wenn er solchen Kate¬ 
gorien die Ausdehnungsfähigkeit bewahrt, die von Begriffen be¬ 
nötigt wird, welche sich in der Geschichte allmählich zugleich mit 
dem ganzen Gedankensystem umgestalten, an dem sie teilhaben. 
9. 
Der Begriff der Natur und das Problem 
ihrer Schönheit. 
Aus einigen Hinweisen, die wir im vorletzten Paragraphen 
zur Klärung des Wesens der Technik zu geben Anlaß hatten, 
könnte vielleicht jemand folgern, diese Philosophie der Kunst 
verweise die Natur in die Technik und beraube sie daher der 
Herrschaft der Kunst und der Schönheit; so bestätige sie den 
Urteilsspruch, den andere moderne Ästhetiken, eifersüchtig auf den 
geistigen Charakter der Kunst, gegen sie verkündet hätten.
	        
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