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Das Problem der Kunst.
liehe Seele beglückt, weil sie in ihm sich spiegelt. Das ganze
Leben hindurch bleibt es eine unablässige Mühe, aus eigener oder
aus fremder Kraft alle die Lücken der Welt der Erfahrung, die
zugleich die Welt unseres Handelns ist, mit dem Zauber der
Kunst auszufüllen; bei diesem Bemühen binden sich die fremden
Kräfte an unsere, sie vermischen sich mit den unseren bei der Er¬
zeugung der schönen Dinge, die der Mensch stets sucht, und die
er, hat er sie einmal gefunden, nicht müde wird, zu betrachten
und zu genießen, die er zu seinem täglichen Brot, zu seinem Be¬
sitztum, ja, zur Substanz seiner Seele macht. Ohne diese unab¬
lässige Kraftaufwendung vermag die lebenspendende Luft nicht
in alle Poren des schweren und wuchtenden Organismus des realen
Lebens einzudringen, wie sie dem schönen Gegenstand eigen ist,
den der Mensch nicht als gegeben findet, sondern mit göttlicher
Kraft erschafft. So ist nichts überzeugender und erschütternder
für den, der nachzudenken und mit vertieftem Blick zu schauen
gewillt ist, als der Anblick, den ein weites Theater oder ein großer
Konzertsaal bietet: hier findet sich eine Vielheit von Menschen
jedes Alters, Geschlechts und verschiedenster Bedingungen; ver¬
gessen sind die täglichen Mühen, die üblichen Gedanken und der
übliche Zeitvertreib, vergessen die persönlichen Sorgen. In einem
einzigen Gefühl finden sich alle: in dem, dem der Künstler in der
Tragödie, im Gesang, in der Symphonie Ausdruck verlieh. Und
diese Menge so untereinander verschiedener Seelen mündet ein
in das leidenschaftliche Lied des Sängers oder in das Klingen einer
Violinsaite, ergießt sich hierin und schwingt gleichgestimmt mit.
Sie, deren jeder sein eigenes Leben, seine Welt, seine Vorstel¬
lungen und seine Neigungen hat, fühlen in ihrem Innern ein ge¬
meinsames Bedürfnis, das sie nur zu stillen vermögen, indem sie
ihre Sonderneigungen und -Vorstellungen ablegen und auf das
Äußerliche der Welt verzichten, in der sich für jeden von ihnen
das tägliche Leben abspielt: die gleiche Seele erwacht in ihnen
allen, die Menschenseele, die gleiche, die den schönen Gegen¬
stand schafft und schaut. Gleich ist die Seele in allen und so echt
menschlich und fähig, durch verschiedene Epochen, Nationen und
Rassen zu ihrer Einheit zurückzufinden, wie stark auch jedes Kunst¬
werk die unzerstörbare Spur von Zeit und Ort trägt, in denen es
entstand, von Ideen und Leiden, die zur Gestaltung des Lebens, der
Seele zusammenwirkten, die es erzeugte. So erscheint es klar, daß
jenseits dieser scheinbaren Differenzen im Innern des Menschen,
in der Autonomie seines Lebens, jene gleichgestimmte Seele lebt.