Full text: Philosophie der Kunst

Die Kunst, die Künste und die schöne Natur. 
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hängig von jeder Verschiedenheit der Völker und Zeiten, das Ge¬ 
fühl des Menschen ist. Der verzweifelte Leidensschrei der Sappho 
tönt durch die Jahrhunderte wieder, und jedes menschliche Ohr ist 
bereit, ihm zu lauschen und, wenn es notwendig ist, die Schwierig¬ 
keit der fremden Sprache zu überwinden. Und der Akzent des ge¬ 
sprochenen Wortes ist das gleiche Gefühl, das man vom Blick und 
Ausdruck eines gemeißelten oder gemalten Antlitzes ablesen kann. 
Doch wer dieses Gefühl (Akzent, Ton, Ausdruck usw.) außer¬ 
halb der Elemente suchte, mittels derer es sich verwirklicht, würde 
offenkundig etwas Unerfaßbares erfassen wollen: er bliebe bei 
dem reinen Gefühl, das dem Gedanken vorangeht, stehen, und 
somit beim Nichts. Der Akzent liegt in der Rede und gehört zur 
Rede — der Ausdruck liegt in den Augen, aber soweit die Augen 
in einem Gesicht sind. Der Ton entfaltet und verwirklicht sich 
im Satz einer Melodie usw. 
Deshalb sagten wir, daß die Sprache Gefühl und Gedanke ist. 
Gedanke, soweit er Gefühl ist; doch auch Gefühl, soweit er Ge¬ 
danke ist: Einheit, die in sich eine Vielfältigkeit aufhebt. 
2. 
Die Technik. 
Halten wir uns diesen Prozeß vor Augen, der der Sprache eigen¬ 
tümlich ist, insofern sie mit dem ästhetischen Prozeß des Geistes 
gleichbedeutend ist, so ist es, glaube ich, nunmehr leicht, sich von 
einigen künstlerischen Tatsachen Rechenschaft zu geben, die Anlaß 
zu größtenteils bisher nicht gelösten Problemen wurden. 
Das erste dieser Probleme ist das des Zusammenhangs zwischen 
Kunst und Technik. Es gibt eine Technik des Architekten wie eine 
Technik des Bildhauers und Malers, und es gibt ebenso eine 
Technik des Dichters wie des Redners oder Schriftstellers (Poetik, 
Metrik, Rhetorik): eine Technik, die sich zugleich mit dem Fort¬ 
schritt des wissenschaftlichen Gedankens ändert und vervollkomm¬ 
net und die in Erkenntnisgruppen besteht, deren der Künstler be¬ 
darf, um seine Einbildungen oder Ideen in Wirklichkeit um¬ 
zusetzen. Leonardo, der Anatomie studiert, um den menschlichen 
Körper der Wahrheit entsprechend darzustellen, gehört wegen 
dieser Studien nicht oder nur unmittelbar in die Geschichte der 
Malerei; seine Zeichnungen und Beobachtungen tragen tatsächlich 
ganz den Charakter der echten und eigentlichen wissenschaftlichen
	        
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