164
Die Aktualität der Kunst.
Schönheit klarer. Denn jetzt -wird offenkundig, daß es sich um die
Aktivität handelt, in der der Gedanke besteht.
Jeder ist zwar zu der Beobachtung in der Lage, daß der Ge¬
danke nicht Schönheit, sondern Wahrheit erzeugt. Daher mag es
scheinen — und tatsächlich scheint es unaufhörlich so —, man
müsse, um sich vom Wesen der Kunst Rechenschaft zu geben,
den Gedanken beiseite lassen. Aber wir haben gesehen, daß,
wenn der Geist etwas hervorbringt, er dies nur im Gesamtrhythmus
seiner Dialektik tun kann; diese Dialektik ist der Rhythmus des
Gedankens, der nicht mehr einfaches Subjekt, sondern Selbst-
Bewußtsein ist.
Von hier rühren die verzweifelten Versuche her, die Werke,
die Erzeugnisse des Geistes sind, zu klassifizieren, indem man die
Kunstwerke und die wissenschaftlichen oder Gedankenwerke in
zwei unterschiedene Kategorien einteilt. Auf der einen Seite
stellt man, soweit es sich im besonderen um literarische Werke
handelt, die Poesie, auf der anderen die Prosa zusammen. Ist
aber die Klassifikation vorgenommen, so setzen die Zweifel ein.
Hört ein Prosalustspiel auf, ein Kunstwerk zu sein, nur weil es
nicht in Versen geschrieben ist? Und welcher Kategorie gehört ein
Roman an? Und die Dialoge Leopardis? Und die Platos, wenig¬
stens die, die wegen der Feinheit der Darstellung und des
Glanzes der Form am meisten bewundert werden? Weiter: ist ein
Dichter wie Dante oder wie Goethe nur Dichter oder nicht viel¬
mehr darüber hinaus Denker und Philosoph? Wird man nicht
über die Philosophie Leopardis und Petrarcas schreiben können,
mögen sie auch in der Literaturgeschichte als Dichter auftreten?
Und gibt es nicht in der „Göttlichen Komödie“ offenkundig eine
praktische, religiöse und politische Zielsetzung?. Diesen Fragen
gegenüber verneint man entweder aus Doktrinarismus den Augen¬
schein selbst, oder man fügt den zwei Hauptklassen eine dritte
Klasse von Dichter-Philosophen (oder Künstler-Philosophen wie
Leonardo) und eine dritte Literaturgattung, die dichterische Prosa
hinzu. Aber ist Campanella nur in seinen „Dichtungen“ Dichter?
Nennt er diese Dichtungen zu Unrecht „philosophisch“? Und zeigt
Vico, der in seinen Dichtungen nicht Dichter ist, in seiner „Neuen
Wissenschaft“ nicht eine bedeutende dichterische Veranlagung? Und
ist Giordano Bruno, der in seinen allegorischen Sonetten so seltene
und verworrene Ansätze dichterischer Eingebung hat, nicht auf
vielen Seiten der „Dialoge“ vom dichterischen Feuer durch¬
drungen und erschüttert?