Liebe und Sprache.
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heftigste gegenseitige Anziehung, die schnellste und vollkommene
Vereinigung, wenn die beiden Seelen sich einander gegenüber-
sehen, um ihre grundlegende Übereinstimmung zu empfinden, nach¬
dem die nicht zu ihrem Wesen gehörenden Unstimmigkeiten fort¬
gefallen sind.
Eines Unterschieds aber bedarf es immer. Ohne ihn sänke die
Liebe auf das Niveau eines Naturinstinktes und einer Unmittel¬
barkeit, in der nichts Geistiges und auch kein Gefühl möglich ist.
Das Gefühl, das eine Person an eine andere oder an einen Gegen¬
stand bindet, ist nicht schon da, sondern es wird, es entsteht, es
wird kraft des dialektischen Vermögens des Geistes gesetzt. Die
unmittelbare Gegenüberstellung einer Person zur anderen (die un¬
mittelbar entgegengesetzt sein müssen, da jede von ihnen eine
Person, daher eine Seele und also ein Unendliches ist; und das
eine Unendliche schließt das andere Unendliche aus, wenn das eine
sich in Beziehung auf das andere zu behaupten versucht) erweckt
zwei Gefühle; jedes verhält sich dem anderen gegenüber negativ.
Und damit dieses Moment der Verneinung überwunden werde,
damit beide Gefühle sich wechselseitig bestätigen und in einem
einzigen Gefühl zusammenfinden, bedarf es eines Prozesses, der
die Andersheit beseitigt. Eines Prozesses, mit dessen Verwirk¬
lichung das Subjekt schon in der Seele des Einzelnen beginnt, und
das es in der Verbindung seiner individuellen Seele mit den anderen
Seelen weiter verwirklicht, nicht, weil diese Verbindungen das
Subjekt aus seinem Innern an die Außenflächen ziehen, sondern
vielmehr, weil alle zwischen-individuellen Beziehungen immer neue
Probleme des inneren Lebens des Individuums bilden. Stets hat es
das eigene Nichtsein zu überwinden, um zu seinem Sein zu ge¬
langen, um zu existieren.
5.
Die Geschichte des Gefühls.
In diesem Prozeß entwickelt sich das Gefühl natürlich nicht
gemäß einer durch den Umfang der reinen Subjektivität begrenzten
Dialektik, die in ihrer abstrakten Idealität ewig unbeweglich bleiben
müßte. Ohne die Dialektik des gesamten Rhythmus des Geistes in
seiner Wirklichkeit als Selbst-Bewußtsein und daher als Gedanke
(und Wille) ist das Gefühl tatsächlich unbeweglich. Dann wird es in
der Trägheit des Geistes (die nie vollständig Untätigkeit sein wird)
zwrar natürliche Zuneigung und Abneigung geben; aber es wird