Full text: Philosophie der Kunst

Liebe und Sprache. 
153 
Zu viel lateinische Formelehen. Sie lassen uns an Don Abbondio 
denken, wenn er sich aus der Verlegenheit ziehen will, in die ihn 
die beharrlichen Fragen des armen Renzo22) stürzen, und wie auch 
er seinen lateinischen Wortkram hervorzieht. Aber auch zwischen 
den mehr oder weniger passenden Formelchen ist der Trugschluß 
der Antwort offenkundig. Der Trugschluß liegt nämlich nicht beim 
Gegner, sondern beim Verfasser. Denn ist es nicht wirklich eine 
petitio principii oder ein eirculus vitiosus nachzuweisen, das Ge¬ 
fühl sei nicht ein besonderer Inhalt, neben dem es andere gibt, 
die nicht in gleicher Weise der künstlerischen Ausarbeitung zu¬ 
gänglich sind, indem man behauptet, das Gefühl sei das All und 
Ganze, betrachtet sub specie intuitionis? Die Beweisführung kann 
nur besagen wollen: es gibt keinen andern Inhalt, der im Vergleich 
zu dem Gefühl geeigneter wäre, Gegenstand der Kunst zu werden. 
Oder die Beweisführung will sagen: das Gefühl ist der künst¬ 
lerische Inhalt, und die andern sind nicht künstlerisch. — Aber 
jeder andere Inhalt ist zugleich eine von der intuitiven Form ver¬ 
schiedene Form. — Gut! Aber auch das Gefühl ist praktische 
Aktivität und hat daher schon seine von der intuitiven Form unter¬ 
schiedene Form, was dem Verfasser zufolge nicht hindert, daß diese 
seine Form sich in die intuitive Form verwandelt. Und wer ein¬ 
wendet, das Gefühl sei ein besonderer Inhalt, der schon als zur 
künstlerischen Ausarbeitung besonders angemessen qualifiziert wird, 
spricht wohlverstanden nicht von dem Gefühl, das schon Abbild des 
Gedankens, sondern von dem Gefühl, insoweit es Inhalt ist, d. h. 
von dem Gefühl, das man zur künstlerischen Synthese erhöht, 
während man von dieser Synthese die Gedanken oder die körper¬ 
lichen Dinge (wie man diese auch verstehen mag) zurückstößt. 
Um diesem Einwand aus dem Weg zu gehen, müßte man ant¬ 
worten können, was man nicht antworten kann: daß nämlich jeder 
mögliche Inhalt Gefühl ist, außerhalb dessen nichts anderes ge¬ 
dacht werden kann. Eine sinnlose Antwort; denn könnte man 
so denken, und wäre es so, so wäre das Gefühl nichts Eignes 
und Bestimmtes. Omnis determinatio negatio. Und wenn das Ge¬ 
fühl Gefühl ist, muß es sich auch von andern Dingen unterscheiden, 
die nicht Gefühl sind. 
Man muß also ein anderes Blickfeld einnehmen, muß den Inhalt 
mit der Form unmittelbar in eins setzen, d. h. die ästhetische Form 
selbst mit dem Gefühl identifizieren, und muß mit größtem Nach¬ 
22) Romanfiguren aus Manzonis „I promessi sposi“. Der Übersetzer. 
11
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.