Liebe und Sprache.
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Zu viel lateinische Formelehen. Sie lassen uns an Don Abbondio
denken, wenn er sich aus der Verlegenheit ziehen will, in die ihn
die beharrlichen Fragen des armen Renzo22) stürzen, und wie auch
er seinen lateinischen Wortkram hervorzieht. Aber auch zwischen
den mehr oder weniger passenden Formelchen ist der Trugschluß
der Antwort offenkundig. Der Trugschluß liegt nämlich nicht beim
Gegner, sondern beim Verfasser. Denn ist es nicht wirklich eine
petitio principii oder ein eirculus vitiosus nachzuweisen, das Ge¬
fühl sei nicht ein besonderer Inhalt, neben dem es andere gibt,
die nicht in gleicher Weise der künstlerischen Ausarbeitung zu¬
gänglich sind, indem man behauptet, das Gefühl sei das All und
Ganze, betrachtet sub specie intuitionis? Die Beweisführung kann
nur besagen wollen: es gibt keinen andern Inhalt, der im Vergleich
zu dem Gefühl geeigneter wäre, Gegenstand der Kunst zu werden.
Oder die Beweisführung will sagen: das Gefühl ist der künst¬
lerische Inhalt, und die andern sind nicht künstlerisch. — Aber
jeder andere Inhalt ist zugleich eine von der intuitiven Form ver¬
schiedene Form. — Gut! Aber auch das Gefühl ist praktische
Aktivität und hat daher schon seine von der intuitiven Form unter¬
schiedene Form, was dem Verfasser zufolge nicht hindert, daß diese
seine Form sich in die intuitive Form verwandelt. Und wer ein¬
wendet, das Gefühl sei ein besonderer Inhalt, der schon als zur
künstlerischen Ausarbeitung besonders angemessen qualifiziert wird,
spricht wohlverstanden nicht von dem Gefühl, das schon Abbild des
Gedankens, sondern von dem Gefühl, insoweit es Inhalt ist, d. h.
von dem Gefühl, das man zur künstlerischen Synthese erhöht,
während man von dieser Synthese die Gedanken oder die körper¬
lichen Dinge (wie man diese auch verstehen mag) zurückstößt.
Um diesem Einwand aus dem Weg zu gehen, müßte man ant¬
worten können, was man nicht antworten kann: daß nämlich jeder
mögliche Inhalt Gefühl ist, außerhalb dessen nichts anderes ge¬
dacht werden kann. Eine sinnlose Antwort; denn könnte man
so denken, und wäre es so, so wäre das Gefühl nichts Eignes
und Bestimmtes. Omnis determinatio negatio. Und wenn das Ge¬
fühl Gefühl ist, muß es sich auch von andern Dingen unterscheiden,
die nicht Gefühl sind.
Man muß also ein anderes Blickfeld einnehmen, muß den Inhalt
mit der Form unmittelbar in eins setzen, d. h. die ästhetische Form
selbst mit dem Gefühl identifizieren, und muß mit größtem Nach¬
22) Romanfiguren aus Manzonis „I promessi sposi“. Der Übersetzer.
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