Full text: Philosophie der Kunst

Liebe und Sprache. 
151 
V. 
Liebe und Sprache. 
1. 
Nicht Ansdruck des Gefühls, sondern Gefühl. 
Versteht man die Kunst in dem aus den vorangegangenen 
Untersuchungen sich ergebenden Sinne, so ist sie nicht, wie man 
gesagt hat, Ausdruck oder Intuition des Gefühls, sondern eben das 
Gefühl selbst. Die bekannte Lehre, die die Kunst als Gefühls¬ 
ausdruck definierte, endete schließlich, wie sie begonnen hatte, 
nachdem sie lange und vergeblich versucht hatte, einen Begriff 
aufzustellen, durch den man die Kunst von der Philosophie unter¬ 
scheiden und mit dieser am Wesen des theoretischen Geistes teil¬ 
haben könne: sie schuf eine Gehaltsästhetik, obschon sie sich die 
Errichtung einer Formästhetik als Ziel gesetzt hatte. Sie begann, 
den theoretischen Charakter der Kunst von dem der Philosophie 
aus der Verschiedenartigkeit des Inhalts der einen und der andern 
(besonderer und allgemeiner Inhalt) zu unterscheiden. Sie endet 
mit der Bestimmung der der Kunst eigenen intuitiven Erkennens- 
form, indem sie ihr einen spezifischen Inhalt zuschreibt, der das 
Gefühl sein soll, aus dem dann der lyrische Charakter der Kunst 
abzuleiten wäre. Ein Inhalt, der in der Form keine Auflösung 
findet. Denn die Auflösung wäre möglich, hätte das Gefühl nicht 
im System dieses Verfassers seine eigene autonome Existenz hin¬ 
sichtlich seiner Erhöhung zum Gegenstände der Kunst: da es in 
seiner dunklen Unbestimmtheit die praktische Form des Geistes 
bezeichnet, die ebenso wirklich wie die theoretische ist. So kommt 
es, daß die Kunst dualistisch begriffen wird. Bestimmt wird sie 
mit Worten als eine Synthese; aber man sieht nicht die die Synthese 
erzeugende Kraft a priori. Und die Synthese bleibt ein Ergebnis: 
das Ergebnis der Verknüpfung der intuitiven Form mit dem ge¬ 
fühlsmäßigen Inhalt. Zunächst kommt das Gefühl, dann das Sehen 
dieses Gefühls, als wäre ein unmittelbares Sehen dieser Art möglich, 
und als wäre eine geistige Aktivität möglich, die sich einem von ihr 
vorausgesetzten Gegenstände zuwendete. Man liest z. B. in einer 
der zahlreichen Darstellungen der Ästhetik, auf die wir jetzt an- 
spielen: „Die Kunst ist nichts anderes als Phantasie, und was man
	        
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