Full text: Philosophie der Kunst

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Die Aktualität der Kunst. 
oder weniger naiven Verschönerungen und ähnlichen Kunstmitteln 
entstehen mag. Das Gefühl, das reine Gefühl ist im vollen Licht 
des Gedankens nicht wiederzuerkennen, und so konnte es auch 
schon kommen, daß wir sagten, es sei mit dem Subjekt ganz eins 
und könne von ihm in keiner Weise unterschieden werden. 
Der Reichtum der Gefühle entfaltet sich auf einer Skala, in der 
das unterscheidende Moment der Gedanke ist. Dieser erfaßt die 
bestimmten und verschiedenartigen Lagen, denen sich das Gefühl 
auf verschiedene Art anpaßt, dieses Gefühl, das einzig ist, solange 
es im Moment des reinen Subjekts bleibt, das nur in seiner Objek¬ 
tivierung zu seiner Vervielfältigung gelangen wird. 
Es ist richtig, daß das Gefühl seiner Wurzel nach doppelt ist, 
und allein durch seine Entzweiung kann es dem ganzen geistigen 
Leben, das von ihm abhängt, seine verschiedene Färbung geben. 
Das Gefühl ist in seinem Grunde Freude oder Schmerz, und alle 
Gefühle, Affekte, Leidenschaften, die man in der Erfahrung mehr 
oder minder unterscheidet, sind verschiedene Formen der Freude 
und des Schmerzes. Aber diese beiden Gefühle oder Grundarten 
des Gefühls sind zwei und sind nicht zwei: sie sind nicht zwei wie 
zwei Arten, deren jede den Gattungseigentümlichkeiten, die sie im 
allgemeinen besitzt, etwas Besonderes hinzufügt: das heißt sie sind 
nicht zum Teil identisch und zum Teil verschieden. Das eine ist 
die absolute Verneinung des andern, so daß man die Freude Nicht- 
Schmerz und den Schmerz Nicht-Freude nennen kann. Sie sind 
nicht verschieden und unterschieden, sondern zwei Gegensätze, 
deren wechselseitige Gegenüberstellung kontradiktorischen Cha¬ 
rakter trägt. Sie schließen sich deshalb wechselseitig vollständig 
aus, und das Gefühl, das man fühlt, ist entweder Freude oder 
Schmerz. Die Indifferenz ist ein Märchen irregeleiteter Psychologen. 
Wenn man nur ungefähr sagen kann, man empfinde weder Freude 
noch Schmerz, so empfindet man Freude, falls man diese Indifferenz 
mühelos ertragen kann, oder sonst ist sie Gefühl der Nichtigkeit 
(noia), das eine Art von Schmerz, ja, nach Leopardi der größte 
Schmerz ist. 
Das Verhältnis von zwei Gegensätzen ist dialektisch, nicht nur 
in einem abstrakt logischen, sondern in einem metaphysischen und 
daher wirklichen und konkreten Sinne. Ihre Zweiheit ist Gegen¬ 
sätzlichkeit einer Einheit in sich: von etwas Einzigem, das lebt, sich 
entwickelt, wird, und das ist, soweit es nicht ist und umgekehrt, 
und das sich daher als Identität von Gegensätzen setzt. Eine be¬ 
ständige, immer gleich bleibende Freude ist eine tote Freude:
	        
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