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Die Aktualität der Kunst.
borene Sohn seinerseits Vater seines Sohnes sein; er geht ihm voran
und ist daher sein Erzeuger; aber er wird es nur sein können, in¬
sofern er schon mit einer ihm innewohnenden schöpferischen
Kraft (der Kürze wegen wollen wir uns dieses scholastischen Aus¬
drucks bedienen) geboren ist, die eben die ist, der er einmal die
Geburt seines Sohnes danken wird; aber es ist zugleich dieselbe
Kraft, der er seine Geburt dankt. Ein Vater, der nicht von Natur
in sich das Prinzip trüge, durch das er ist, durch das aber auch sein
Sohn sein werde, wäre nicht mehr Vater. So verhält es sich mit
dem schöpferischen Vermögen des Subjekts, das über die rein
subjektive Stellung hinausgeht. Und man sagt daher Ich, worunter
man nicht ein abstraktes Subjekt, sondern Einheit und Identität
von Objekt und Subjekt versteht.
Nochmals also: wer „Subjekt“ sagt, meint „Ich“ in Form des
Subjekts. Eine rein ideelle oder, wie wir gesagt haben, transzenden¬
tale Form, die aber, wie wir immer deutlicher sehen werden, das
Prinzip jeder Wirklichkeit ist. Was fehlt denn tatsächlich dieser
idealen Form, um Wirklichkeit zu werden? Es fehlt die Gegenüber¬
stellung des Objekts zum Subjekt, und es fehlt daher ihre wechsel¬
seitige Durchdringung. Nur durch diesen Prozeß konstituiert sich
der Gedanke und in dem Gedanken die Welt in ihrer ganzen un¬
begrenzten Wirklichkeit. Aber das schöpferische Prinzip dieses
Prozesses liegt im Subjekt oder im Ich, das Subjektform hat, und
wer das Objekt ohne das Subjekt haben möchte und das All in
ein derart einzelnes und absolutes Objekt schließen wollte, würde
dieses Universum an das Ende eines Seiles hängen, dessen anderes
Ende nirgends zu befestigen wäre.
3.
Bedeutung der Unterscheidung zwischen
Kunst und Gedanken.
Die Kunst setzt also, wie Sokrates sagen würde, aufs Spiel, ganz
im subjektiven Moment des Geistes zu sein. Und man kann sagen,
daß die Form der Kunst, die jeder aus eigener Erfahrung fühlt,
oder eines Erzeugnisses des Geistes, oder besser eines bestimmten
Lebens des Geistes, das Kunstwert hat, die Form des Ich als reinen
Subjekts ist. Wollte man diese Form in ihrem unmittelbaren Dasein
erfassen, so würde sich nach dem bisher Gesagten ein leerer Schat¬
ten zeigen; in der Erfahrung aber offenbart und zeigt sie sich durch
das Mittel des vollkommenen Gedankens, der ebenso reine Sub¬