der körperlichen und geistigen Anlagen, nötigenfalls der höheren
auf Kosten der niederen. Aus ihr folgt weiter Bejahung der Fort¬
pflanzung, des normalen Geschlechtsaktes mit diesem Ziel in der der
Würde des Menschen entsprechenden monogamen Ehe. Anders steht
es nach Drieschs Überzeugung mit dem Geschlechtsakt ohne Fort¬
pflanzungsziel. Er sollte nicht sein, ist aber unter bestimmten Vor-
ausse^ungen entschuldbar. Entschuldbar ist für Driesch ein Handeln,
das zwar nicht gut, aber weniger nicht-gut ist als sein Gegenteil. In
diesem Sinn hält Driesch ethische Kasuistik für notwendig und be¬
rechtigt. Erarbeiteten Besitj, der auch vererb- und verschenkbar ist,
hält Driesch für gerechtfertigt. Bodenschätje können nach seiner
Überzeugung nur Gemeinbesitj sein, Grund und Boden kann als
„Halbbesitj auf Lebens- oder Leistungsdauer“ verliehen werden,
seine Vererbung aber ist nur bei Sicherung entsprechender Bearbei¬
tung vertretbar. Der Staat ist als jene menschliche Gemeinschaft, die
der Förderung des menschlichen Lebens und der geistigen Entfaltung
dient und alle Hemmnisse hiefür abwehrt, zu bejahen. Aus dieser
Zielsetjung ergibt sich das Recht des Staates zu sozialer und Straf-
gesetjgebung und deren Ausführung. Strafen sind mit Ausnahme der
Todesstrafe und körperlicher Schädigungen und Mißhandlungen ent¬
schuldbare Notwendigkeiten.
Endziel aller staatlichen Entwicklung ist die Pan-Ükumene, der
Weltstaat, mit dem der Krieg endlich überwunden ist und in dem
die Arbeit aller allen dient. Vor seiner Verwirklichung hält Driesch
Kriege nur in einer einzigen Form für entschuldbar, nämlich in der
Form des Verteidigungskrieges eines geordneten Gemeinwesens ge¬
gen Horden, von denen man sicher weiß, daß sie nach ihrem Sieg die
Angegriffenen vernichten. In allen anderen Fällen ist er das größte
sittliche Übel. Von einer gewissen Kulturhöhe an ist Driesch die De¬
mokratie die einzig sittlich gerechtfertigte Staatsform.
Man hat Driesch wegen seiner politischen Ethik als unhistorisch
denkenden Aufklärer angegriffen;41 aber gerade in ihr hat er sich als
einer der großen Erzieher der Menschheit erwiesen, der tiefer sah
als seine, auch so historisch denkenden Kritiker.
Besonders übel hat man Driesch auch seine kritische Stellung zu
allen bisherigen geschichtsphilosophischen Versuchen genommen.
Aber auch hier sah er mit seiner Überzeugung, daß allein im Werden
wissenschaftlichen Erkennens und sittlicher Kultur von echter ge¬
schichtlicher Entwicklung gesprochen werden könne, tiefer als seine
Angreifer. Die Bedeutung echter Religion, besonders im Hinblick
für die Ethik, hat Driesch nie verkannt.
41 Hans Leisegang: Deutsche Philosophie im 20. Jahrhundert. Berlin 1929, S. 27.
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