habe. Der Holismus (z. B. Adolf Meyer-Abich) macht sogar in Um¬
kehrung des mechanistischen Denkens geltend, daß die chemisch-
physikalischen Gesetzmäßigkeiten nichts anderes seien als Simpli-
fikationen biologischer Gesetzmäßigkeiten, aus denen jene daher
abzuleiten seien. Die organische Welt würde also als der umfassendere
Bereich die anorganische Welt in sich enthalten. Was hier als ein
logisch-ideelles Verhältnis gemeint ist, gewinnt in anderen Deutungen
der Natur, so etwa bei Otto Julius Hartmann, einen realen Sinn. Sie
besagen, daß das Überrnaterielle das Räumlich-Materielle in sich trägt
und in sich faßt. Es wäre dann der Ursprung, aus dem sich die ma¬
terielle Welt erst herausgesondert und verdichtet hätte. Die sogen.
Gesetje der Materie würden nicht einmal ausreichen, um auch nur die
materielle Wirklichkeit wahrhaft zu verstehen.
Symptomatisch für einen entscheidenden Wandel der Einstellung
ist es auch, daß heute sogar Physiker bemüht sind, unter neugewonne¬
nen Gesichtspunkten die Sonderart des Lebens innerhalb der anorga¬
nischen Welt zu verstehen. Damit greifen sie, wenn auch unter anderer
Perspektive, das durch Driesch gestellte Problem auf. So unternimmt
es Pascual Jordan, das organische Geschehen einem gewandelten Bild
der anorganischen Natur wieder einzugliedern, nachdem sich gezeigt
hat, daß es sich dem Weltbild der klassischen Physik nicht einfügt.
Dieser Versuch geht von der (zwar nicht unbestrittenen) Anschauung
aus, daß das Geschehen im Bereich der Atome nicht nur, wie Heisen¬
bergs Unsicherheitsrelation zum Ausdruck bringt, in gewisser Hin¬
sicht unbestimmbar, sondern daß es tatsächlich „unbestimmt“ ist. Die
Gesetzmäßigkeiten der Makrophysik würde dann auf statistischen
Mittelwerten beruhen, die sich daraus ergeben, daß wir es dort stets
mit einer Summe aus unübersehbar vielen Einzelvorgängen im atoma¬
ren Bereich zu tun haben. Nur auf Grund solcher Mittelwerte würden
wir Voraussagen machen können. Für ein einzelnes Atom wäre eine
solche Voraussage nicht nur praktisch unvollziehbar, sondern grund¬
sätzlich unmöglich, da seine Reaktionen nicht streng kausal determi¬
niert sind. Jordan bezeichnet sie als jeweils „freie“, unvorhersehbare
Entscheidungen. Auf Grund gewisser Indizien nimmt er weiter an, daß
atomphysikalische Einzelreaktionen, also in seinem Sinne freie, akau-
sale Ereignisse, in viele Lebensprozesse eingreifen und sie mit Hilfe
sogenannter Verstärker steuern. Ähnliche Verstärkervorrichtungen,
durch die sehr feine Reaktionen weitreichende Wirkungen auslösen
können, werden in der Technik verwendet. Manches spricht dafür,
daß Änderungen im Erbgut, die etwa nach Bestrahlungen als Muta¬
tionen in Erscheinung treten, durch derartige atomphysikalische Vor¬
gänge bedingt sind. Sie betreffen dann offenbar einzelne Gene, also
die mittelbar erschlossenen materiellen Träger der Erbanlage. Hier
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