höherer Ordnung“. Sie werfen Fragen auf, die ihre Entsprechung auf
allen Ebenen der Wirklichkeit finden und damit die spezifisch bio¬
logische Problematik hinter sich lassen.
So wäre die Entelechie der Gattung eine überindividuelle Wirk¬
lichkeit, durch die eine individuelle Einzigkeit nodi nicht konstituiert
wird. Auf die Frage nach der Einzigkeit und Unvergänglichkeit der
Entelechie, welche sidi in einer menschlichen Individualität mani¬
festiert — eine Frage, die Goethe immer wieder besdiäftigt hat —
können daher biologische Tatsachen keine Antwort geben. Diese Ein-
sidit hat Driesch bestimmt, sich einem „vitalistischen Dualismus“ zu
nähern. Danadi würde sich das „Egowesen“ der vitalen Entelechie
bedienen, wie diese sich der Materie bedient. Das Problem der organi¬
schen Gestaltung erweist sich somit als Sinnbild eines allgemeinen
Problems der Ordnung in aller Wirklichkeit. Es ist dies das Problem
der Individuation, das heißt der Vielheit überhaupt, die sich zu höhe¬
rer Einheit fügt. Dieses „Problem der universellen Teleologie“ hat
auch Driesdi gesehen. Die mit ihm umschriebene Frage galt ihm zwar
als offene Frage, die sich einer endgültigen Beantwortung entzieht.
Ist doch alle Harmonie in der anorganischen Natur statischer oder
doch stationärer Art! Allein in der organischen Welt erkennen wir das
Werden harmonischer Ganzheit. Nur dort ist daher, wie Driesch
meinte, das Wirken entelechialer Mächte erweisbar. Jedenfalls aber
ist das Problem der organischen Ganzheit, das heißt der Vielheit in
der Einheit und der Einheit in der Vielheit des Lebendigen, ein
Gleichnis des Weltproblems, das sich auf allen Ebenen der Wirklich¬
keit in jeweils gewandelter Form stellt.
Damit gelangen wir noch einmal zu der von Driesch immer wieder
erörterten Frage nach der Stellung des Lebens in der organischen
Natur. Alles Leben ist nach Driesch dadurch charakterisiert, daß
immaterielle Wirklichkeit in das kausal bestimmte Geschehen der
materiellen Welt lenkend eingreift. Diesem Nachweis galt ein großer
Teil seiner Arbeit als Forscher und Denker. Gegen eine summenhaft¬
mechanistische Deutung der anorganischen Natur hatte Driesch kaum
etwas einzuwenden. Insofern ist sein gesamtes Naturbild durch einen
ausgesprochenen Dualismus gekennzeichnet, wenn er auch die Mög¬
lichkeit offen gelassen hat, daß sich das physikalische Geschehen unter
einer Schau, die uns versagt bleibt, einem umfassenden, ganzheit¬
lichen Weltbild einordnen würde.
Dieser Dualismus, der allen Akzent auf die Sonderart des Lebens
legt, wird aus der geistigen Situation verständlich, die Driesch vor¬
gefunden hatte. Mittlerweile ist es jedoch immer fraglicher geworden,
ob man auch nur von einem „Mechanismus des chemisch-physikali-
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