räumlich eindeutig vorgebildet sein, so müßten aus solchen anormal
gestalteten Eiern unweigerlich Mißbildungen hervorgehen. Audi aus
ihnen entstanden jedoch normal gestaltete Larven! Dasselbe wie diese
Versuche an sich entwickelnden Eiern besagten Regenerationsver¬
suche an fertigen Organismen, zum Beispiel an Polypen. Sie zeigten,
daß operativ entfernte Teilstücke imstande sind, die ihnen fehlenden
Organe aus dem zur Verfügung stehenden Zellmaterial neu zu bilden
und damit das Verlorene zu ersehen. Organische Entwicklungsvor¬
gänge können daher nicht in dem Sinne determiniert sein, daß sich
eine im Keim räumlich vorgehildete Struktur mittels bestimmter
Mechanismen in räumliche Gestaltungen anderer Größenordnung
umsetjt. Hieraus zog Driesdi den Schluß, daß organisdies Werden
als aktive Selbstgestaltung, also also zielgerichteter Ablauf, begriffen
werden muß. Dies würde bedeuten, daß in ihm eine Instanz wirksam
ist, die über die Teile gleichsam verfügt. Die „präsumptive Bedeu¬
tung“ jedes Teiles, das heißt sein wirkliches Schicksal unter normale i
Umständen, ist daher, wie Driesch sagt, nicht identisch mit seiner
„prospektiven Potenz“, das heißt mit seinen Möglichkeiten, die ge¬
wöhnlich nicht in Erscheinung treten, sich jedoch erforderlichen Falles
realisieren können. In diesem Sinne hat Driesch den werdenden Orga¬
nismus als ein „harmonisch-äquipotentielles System“ bezeichnet, also
ein Gefüge von Teilen, in dem jeder Teil auf alle anderen abgestimmt
ist und sich dem höheren Ganzen einordnet, zugleich aber potentiell
all jene Anlagen besitzt, die andere Teile ausgestaltet haben. Die
Fähigkeit des Organismus zur Selbstgestaltung zeigt sich auch darin,
daß das Material für bestimmte Organsysteme oft nicht dort entsteht,
wo es gebraucht wird. Dann wandern die Zellen von ihren Ent¬
stehungsorten dorthin, wo sie jene Aufgaben zu erfüllen haben, für
die sie vorgesehen sind. Audi dann ist offenbar allemal ein Faktor am
Werk, der das Geschehen in sinnvoller Weise leitet.
Der Organismus ist nadi Driesch’s Auffassung primär ein Ganzes,
das sich selbst aufbaut. Ein solches Ganzes ist gleichbedeutend mit
sinnvoller Ordnung. Geordnet wird dann die Materie. Sie ist im Ver¬
hältnis zum lebendigen Organismus ordnungslos und stellt das „Mate¬
rial“ dar, dessen das Leben bedarf, um sich zu verwirklichen. So ge¬
sehen, kann „Leben“ nidit als bloße Komplikation chemisch-physi¬
kalischer Vorgänge verstanden werden: es ist ihnen gegenüber
autonom.
Diese Autonomie des Lebens galt Driesch durch die von ihm er¬
forschten Vorgänge der organischen Entwicklung und Formbildung
als erwiesen. Den vielfältigen Erscheinungen des Angepaßtseins, in
denen aktive Anpassungen offensichtlich ihren Niederschlag gefunden
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