Hoffentlich befinden Sie selbst und Ihre Frau Gemahlin sich wohl und
sind gut ins Neue Jahr eingetreten. Was mag dieses „Neue Jahr“ Europa
alles bringen?!
Mit den besten Grüßen und Empfehlungen von Haus zu Haus
Ihr
Hans Driesch
Mein Brief vom 31. Januar ist nicht erhalten geblieben. Ich werde im
wesentlichen das in den Fußnoten Angedeutete geltend machen.
Leipzig, 9. März 1939
Die Sonderabzüge meines Kausalitätsaufsaßes habe ich zwar immer noch
nicht, wohl aber den Jahresband. Da ich vermute, daß es Ihnen ebenso geht,
und wohl auch vermuten darf, daß Sie meinen Aufsaß gelesen haben, wie
ich den Ihrigen, so will ich mit der Beantwortung Ihres Briefes vom 31. 1.
nicht länger zögern.
Ihr Aufsaß ist eine schöne Ergänzung zu Ihren systematischen Schriften
und macht, unter neuem Gesichtspunkt, nämlich unter stetem Hinweis auf
Schopenhauers Lehren, Ihre Ansichten besonders klar.
a) Lassen Sie mich an erster Stelle etwas über die Stufenreihe der an¬
organischen „Naturkraft“ sagen. Mir scheint doch, daß da heute ganz eben¬
so ein Begriffs- (und Zeichen-) Monismus vorliegt, wie früher auf dem
Boden der klassischen Mechanik. Damals sollte diese, also etwa Newtons
„principia“ oder die Gleichungen von d’Alembert und Lagrange, alles
Anorganische erklären, heute soll auch alles Anorganische (einschließlich
der Kausalitätmechanik) geseßes-monistisch erklärt werden — sei es durch
Descartes’ Gleichungen oder die Quantenformeln oder auch anders. Nur
daß das heutige Grundprinzip lange nicht so klar ist wie das alte. (NB.! Es
gibt bekanntlich immer noch solche, die meinen, es gehe auch heute noch
auf die Klassische Mechanik bei Zulassung gewisser Hypothesen — Lenard,
Dingler.) Aber von verschiedenen wirklich leesensversdiiedenen „Natur¬
klassen“ ist im Anorganischen auch heute nicht die Rede, und von einer
Stufenfolge der Geseße kann man nur im Sinne von immer mannigfaltiger
werdenden Resultaten aus dem wahren Elementargeseß reden.
b) Diesen Begriff der Struktur oder Lokalisation verknüpfen Sie, wie mir
scheint, allzu eng mit dem alten Mechanismus. Er ist aber ganz unabhängig
davon; es ist für ihn auch ganz gleichgültig, ob Dinghaftes oder Vorgang¬
haftes das Elementare bildet.
Was für midi der Grundunterschied zwischen allem Unbelebten und dem
Belebten ist, und was ich durch Rückführung auf „gegebene Struktur“
ausdrücke, ist dieses: Im Unbelebten ist alles Geschehen der Wirkung zwi¬
schen Elementen im Raum verdankt, wobei diese „Elemente“ irgendwelche
sein können — (nur keine „Wellen“, s. u.). Jedes Element wirkt durch den
Raum hin auf jedes,wobei natürlich derBegriff derResultante im Sinne der
geometrischen (Vektor-) Addition in Frage kommt. Im Belebten genügt
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