Full text: Hans Driesch

Leipzig, 27. Januar 1939 
Lassen Sie midi heute, noch ehe unsere Arbeiten im Schopenhauer-Jahr¬ 
buch ersdieinen, unsere Korrespondenz wieder aufnehmen und Ihnen zu- 
nädist für Ihren inhaltreichen Brief vom 19. Dezember herzlidi danken. 
Ich greife insbesondere zwei von Ihnen berührte Fragen heraus: 
Erstens: „Ursache“ ist nun einmal im Deutschen das üblidie Wort für das, 
was ich „Werdegrund“ nenne. Es ist ein ungeschicktes Wort, denn an eine 
„Sadie“ soll ja nicht gedadit werden, sondern an ein Gesdiehen, ein Werden, 
einen „Verlauf“, wie Sie sagen. Hier bestehen gar keine Differenzen zwi¬ 
schen uns, wie Ihnen audi der bald erscheinende Aufsatj zeigen wird. —- 
Daß die Sprache den philosophischen Problemen gegenüber versagt, ist 
sidier. Wir brauchen, müssen braudien, stets räumliche Bilder, wenn wir 
Unräumliches meinen. Bergson hat das einmal vortrefflich ausgedrückt. 
Zweitens: Ihre „doppelseitige Bedingtheit“. Hier weidien, scheint mir, 
unsere Ansiditen beträchtlich voneinander ab, wobei freilich zu berücksich¬ 
tigen ist, daß Sie nur von einer „Arbeitshypothese“ reden. Sie kommen dort 
im Großen und Ganzen auf Wundt und seine Verwandten hinaus: Tele¬ 
ologie ist umgedrehte Kausalität, ist Kausalität von der Rückseite. Sie 
sagen „Wenn man die materielle Konstellation eines Organismus bis ins 
Letjte, Intimste kennt, was freilich nur ein unendlicher Geist vermag, kann 
man aus dieser Kenntnis heraus auf physikochemischem Boden alles Vor¬ 
aussagen“14 — (ich zitiere hier nidit wörtlidi, nur dem Sinn nadi). Ist 
dies nicht, in unserer Sprache, „statische Teleologie“, „teleologisdie Ma¬ 
schinentheorie“? 
Für den „Vitalismus“ jeder Form, also für „dynauiisdie Teleologie“ ist 
dagegen kennzeidinend, daß in das materielle Getriebe ein Faktor ein¬ 
greift15, daß aber das Ganz-m«c:/ien von einer besonderen dynamischen 
Entität vorgeschrieben wird und nicht nur ein scheinbares G&uz-„machen"' 
ist (indem ja [in der „Konstellation“] das „Ganze“ eigentlich immer schon 
da ist!). 
Ich weiß wohl, daß Sie Ihre Skizze von dem die Intimitäten der materiel¬ 
len Konstelation kennenden unendlichen Geist, der dann physikochemisch 
Voraussagen kann, als Hypothese angeben, die Möglichkeit eines echten 
Vitalismus offen lassen. Ja — neigen Sie nidit eigentlich doch dem editen 
„Vitalismus“, d. h. dem Begriff des ganzmachenden dynamischen Faktors, 
mehr zu? 
Daß dieser Faktor nicht allmächtig sein kann, sondern an da6 Materielle 
gebunden ist, habe ich ja in der „Philosophie des Organisdien“ an vielen 
Stellen gesagt. Aber diese Bindung ist der Bindung verwandt, die zwischen 
Baumeister und Baumaterial besteht. Das Material macht das aktuelle 
Bauen erst möglich, bedeutet aber zugleich Schranken der Baumöglich¬ 
keiten! (Philosophie des Organischen, 4. Auflage, S. 306 ff., 317, auch 
92 ff.). — 
14 Siehe hierzu Bemerkung 13. Obiger Satj kann tatsächlich streng nur für 
das Reich des Anorganischen gelten, wo das Kommando von innen und oben fehlt. 
15 Richtig, nur ist dieser Faktor ein bloßer Begriff, keine Dingrealität. M. 
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