Full text: Hans Driesch

Mit obigem Bief kreuzte sich folgendes Schreiben von mir (nach einem 
erhalten gebliebenen Entwurf wiederhergestellt): 
Heidelberg. 19. Dezember 1938 
Bei allem Widerstreit bin ich mir bewußt, daß der Unterschied der 
Grundauffassung nicht sehr groß sein wird. Audi ich sehe im Organischen 
von Anfang an seelische (bzw. überseelisch-entelechiale) Führung, die, 
zumindest in dieser Form, im Anorgauisdien nicht existiert, so daß 
Schopenhauers „Kluft“ doch bestehen bleibt. Wenn Sie sagen, daß ich nur 
mit „Erhaltung und Auslösung“ arbeiten wolle, so bleibt unberücksichtigt, 
daß für mich Erhaltung und Auslösung nur die logischen Grundelemente 
der Naturkausalität sind, die sidi in Wirklichkeit unendlich komplizieren 
und eine Rangordnung der Kausalität begründen, an deren Spitje gegebenen¬ 
falls der bewußte Wille, in deren Zentrum aber die dem Individuum 
unbewußte Entelechie als Körperwille steht. Über die Anthropismen und 
Figmente der Sprache (mechanische Bilder und Metaphern) kommen weder 
Sie noch ich hinweg. „Ganzmachen“ und „Inserieren“ sind ebenso mechani¬ 
stische (vom menschlich-manuellen Tun bergenommene) Zeichen für etwas, 
das uns in seinem Wesen doch immer verborgen bleibt (mechanistische 
Zeichen gleich wie meine Worte „erhalten, auslösen, anstoßen, führen, 
lenken, steuern, entfalten, entwickeln“). Die Auslösungskausalität wird ja 
im Organischen zur Entfaltungs-, Ausgliederungs- und Entwicklungskausa¬ 
lität, die immer neue und wechselnde Strukturen und zwar nach bestimm¬ 
ten Plänen schafft. 
In Einem gehen unsere Meinungen vielleicht auseinander: Ira Anschluß 
an Lotjes Wort: „Die organisierende Kraft ist von den Umständen ab¬ 
hängig, ja sehr abhängig“ — habe ich die Vorstellung einer doppelseitigen 
Bedingtheit, Kausalität von unten und Kausalität von oben, deren Zu¬ 
sammenstößen in manchen Wirkungen hypnotischer Suggestion besonders 
deutlich wird. (Brandblasen-Erzeugung oder reichliches Urinieren, aber 
immer doch nur bis zu bestimmten physischen Grenzen, die von unten ge¬ 
setzt sind.) 
Als Arbeitshypothese habe ich bis auf weiteres die Anschauung, daß wenn 
man in einem bestimmten Organismus von seinem ersten Keim an die 
chemischen, kolloidchemischen und elektrokinetischen Verhältnisse samt 
den Bedingungen der Umgebung ganz genau kennte („Mechanismus“ als 
mechanische Strukturen im Sinne klassischer Mechanik sind das alles nicht), 
darauf mit einiger Sicherheit die folgende Reaktionsverknäuelung samt 
Inserierung mit Hilfe von Katalyse, Wirkstoffen, Oberflächenpotentialen 
usw. grundsätzlich kausal ableitbar sein müßte — vollkommen freilich wie¬ 
der nur für einen unendlichen Geist, der aber in diesem Falle nicht ein Über¬ 
mechaniker, sondern ein Über-Chemiker und Über-Elektriker wäre!13 
13 Bemerkung 1950: Diese Behauptung möchte ich heute nicht mehr voll gelten 
lassen — höchstens für Pflanzenleben und das erste embryonale Stadium sowie 
überhaupt das vegetative System von Tier und Mensch. Um auch Trieb-, Instinkt- 
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