eine Eins hatte. Er selbst war am meisten überrascht, denn in der
Klasse und auch bei den Lehrern galt das Griechische und Lateinische
als der oberste Wertmesser. Dem entsprach dann der zweite Preis¬
träger. Der erste Preis betrug 800, der zweite 400 Mark. Mein Mann
gab die Hälfte seines Preises einem unbemittelten Mitschüler als
Beigabe für dessen Theologiestudium und von der anderen Hälfte
gab er seiner Klasse eine große Abschiedsfeier. Für seine Mutter war
die unerwartete Auszeichnung ihres Sohnes eine „schreckhafte“
Freude, denn ihre Gesundheit war damals schon nicht mehr die
beste. Nach ihres Sohnes Abitur löste sie den Hamburger Haushalt
auf und siedelte vorerst nach Baden-Baden über, um in der Nähe
von Freiburg zu sein, wo Hans in seinen zwei ersten Semestern
studierte. Als Hauptfach wählte er Zoologie bei Weismann, den er
sein Leben lang hochgeschätjt hat, obwohl er ja gerade der Weis-
mannschen Theorie der prädestinierten Fixierung des Organismus
im Ei den Todesstoß verseile, indem später seine Experimente an
den Seeigeleiern, wonach aus den in Hälften und Vierteln geteilten
Eiern ganze Seeigel sich entwickelten, und auch bei Achteln, Sech¬
zehnteln und Zweiunddreißigsteln noch kleine organisch vollendete
Larven entstanden, bewiesen, daß im Ei der spätere Organismus
noch nicht im Einzelnen festgelegt ist.
Wie kam es, daß Driesch sich vor allem der Zoologie zuwandte?
Die Erklärung ist naheliegend: Seine Mutter war eine große Vogel¬
liebhaberin, das schönste und sonnigste Zimmer der Hamburger
Wohnung wurde den großen Volieren eingeräumt. Dazu kamen mit
der Zeit heizbare Terrarien und auch Aquarien. Seltene buntgefie¬
derte Vögel, merkwürdige Reptilien und Fische wurden von ihr gehegt
und gepflegt, und über das Brüten und Aufziehen einer seltenen
Vogelart hat sie sogar eine wissenschaftlich anmutende Beschreibung
hinterlassen. Ein anhänglicher Papagei und ein kleiner Affe waren
zeitweise auch Gefährten meines Mannes.
Die schönsten ihrer Vögel hat Josefine Driesch außerdem auf
Porzellan gemalt, und ein besonders wertvolles Exemplar erhielt auf
einer Ausstellung den ersten Preis. Dieser kleine Exote stand bis an
meines Mannes Lebensende unter Glassturz, ausgestopft, auf seinem
Schreibtisch. Der Angriff am 20. Februar 1944 auf Leipzig hat mit
vielem anderen diese reale Jugenderinnerung zerstört. So wuchs
mein Mann schon in seiner Kindheit und Schulzeit in sein späteres
Fachgebiet hinein. In seinen zwei lebten Johanneumsjahren begei¬
sterte er sich für Haeckels Schriften. Im „Wissenschaftlichen Verein“
des Johanneums, dessen eifriges Mitglied er war — (die Mitglieder
kooptierten sich nach strenger Auswahl aus den zwei Parallelprimen
selbst) —, propagierte er mit Leidenschaft die Darwin-Haeckel’sche
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