Genauigkeit solcher Messungen ist doch zu gering, um von einem
Beweis zu sprechen; die etwa zusätjlichen Energiebeträge wären
unfaßbar klein und lägen weit unter der Fehlergrenze der gemach¬
ten Erfahrungen, wenn es sich bei entelechialen oder psychischen
Einflüssen um Auslösungen handelte, wenn also die Entelechie die
Rolle eines Katalysators spielte, der sich nach Bedarf geltend zu
machen hätte, der aber nicht unenergetisch zu wirken bräuchte22.
Wir kommen darauf noch zurück. Die entscheidenden Motive sind
vielmehr theoretischer Art: der Respekt sozusagen vor dem Ener-
gieerhaltungsgesetj als umfassendem und überragendem Substanz-
geset}, ein Respekt der ja auch in der Mikrophysik von heute noch
so wirksam ist, daß der Mehrzahl der theoretischen Physiker das
Energieprinzip als noli me tangere gilt; dazu der für Driesch stets
maßgebende Wille zur größtmöglichen Sparsamkeit: es soll nicht
mehr von den für die leblose Natur geltenden Gesehen abgewichen
werden, als unbedingt notwendig, d. h. durch die Erfahrung und die
aus ihr zu ziehenden Konsequenzen gefordert ist; eine methodische
Erwägung also, die wiederum mit einer sozusagen taktischen ver¬
bündet ist, den Widerspruch der klassisch gewordenen Naturwissen¬
schaft und ihrer Vertreter nicht ohne Not zu reizen.
Zwei Möglichkeiten also, die Wirkung der Entelechie unter Wah¬
rung des Energieprinzips, d. h. ohne physikalische Arbeitsleistung
zu verstehen, hat Driesch aufgezeigt. Die erste ist bekannt unter
dem Namen der Suspensionshypothese: im lebenden Organismus
kann durch die Entelechie ein nach den Gesetzen der Physik fälliger
Energieumsatj zeitweise nach Bedarf aufgehoben werden, um dann
durch die so steuernde Entelechie wieder freigegeben zu werden.
Die Steuerung bestünde also in erster Linie in einer negativen, einer
hemmenden Wirkung; Driesch neigte ja auch beim Problem der
Willensfreiheit aus Sparsamkeitsgründen dazu, dem Willen nur ein
Vetorecht, ein Neinsagenkönnen gegenüber sich darbietenden In¬
halten zuzusprechen. Gerade diese Hypothese mag die Gegner des
Drieschschen Vitalismus, die nichtsdestoweniger keine Mechanisten
sein wollen, veranlaßt haben, in Drieschs Vitalismus eine nicht hin¬
reichende Ganzheitslehre und einen Rest von Mechanismus zu er¬
blicken. Denken wir aber einmal diese Hypothese zu Ende durch,
so darf man natürlich die Suspension nicht selbst physikalisch auf¬
fassen wie die Bremsung eines gesteuerten Wagens, die eben Ener¬
-2 F. Brentano hat in einem von Prof. A. Kastil gefundenen noch nicht ver¬
öffentlichten Manuskript zu seinen Vorlesungen über das Leib-Seele-Problem dar¬
auf aufmerksam gemacht, daß übrigens auch ein exakter Nachweis der Konstanz
der Energiebilanz im lebenden Haushalt nichts beweisen würde, denn es könnte
ja sein, daß Energiezufuhr und Energieverbrauch durch Lebensfaktoren sich auf-
heben würden.
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