Full text: Hans Driesch

Genauigkeit solcher Messungen ist doch zu gering, um von einem 
Beweis zu sprechen; die etwa zusätjlichen Energiebeträge wären 
unfaßbar klein und lägen weit unter der Fehlergrenze der gemach¬ 
ten Erfahrungen, wenn es sich bei entelechialen oder psychischen 
Einflüssen um Auslösungen handelte, wenn also die Entelechie die 
Rolle eines Katalysators spielte, der sich nach Bedarf geltend zu 
machen hätte, der aber nicht unenergetisch zu wirken bräuchte22. 
Wir kommen darauf noch zurück. Die entscheidenden Motive sind 
vielmehr theoretischer Art: der Respekt sozusagen vor dem Ener- 
gieerhaltungsgesetj als umfassendem und überragendem Substanz- 
geset}, ein Respekt der ja auch in der Mikrophysik von heute noch 
so wirksam ist, daß der Mehrzahl der theoretischen Physiker das 
Energieprinzip als noli me tangere gilt; dazu der für Driesch stets 
maßgebende Wille zur größtmöglichen Sparsamkeit: es soll nicht 
mehr von den für die leblose Natur geltenden Gesehen abgewichen 
werden, als unbedingt notwendig, d. h. durch die Erfahrung und die 
aus ihr zu ziehenden Konsequenzen gefordert ist; eine methodische 
Erwägung also, die wiederum mit einer sozusagen taktischen ver¬ 
bündet ist, den Widerspruch der klassisch gewordenen Naturwissen¬ 
schaft und ihrer Vertreter nicht ohne Not zu reizen. 
Zwei Möglichkeiten also, die Wirkung der Entelechie unter Wah¬ 
rung des Energieprinzips, d. h. ohne physikalische Arbeitsleistung 
zu verstehen, hat Driesch aufgezeigt. Die erste ist bekannt unter 
dem Namen der Suspensionshypothese: im lebenden Organismus 
kann durch die Entelechie ein nach den Gesetzen der Physik fälliger 
Energieumsatj zeitweise nach Bedarf aufgehoben werden, um dann 
durch die so steuernde Entelechie wieder freigegeben zu werden. 
Die Steuerung bestünde also in erster Linie in einer negativen, einer 
hemmenden Wirkung; Driesch neigte ja auch beim Problem der 
Willensfreiheit aus Sparsamkeitsgründen dazu, dem Willen nur ein 
Vetorecht, ein Neinsagenkönnen gegenüber sich darbietenden In¬ 
halten zuzusprechen. Gerade diese Hypothese mag die Gegner des 
Drieschschen Vitalismus, die nichtsdestoweniger keine Mechanisten 
sein wollen, veranlaßt haben, in Drieschs Vitalismus eine nicht hin¬ 
reichende Ganzheitslehre und einen Rest von Mechanismus zu er¬ 
blicken. Denken wir aber einmal diese Hypothese zu Ende durch, 
so darf man natürlich die Suspension nicht selbst physikalisch auf¬ 
fassen wie die Bremsung eines gesteuerten Wagens, die eben Ener¬ 
-2 F. Brentano hat in einem von Prof. A. Kastil gefundenen noch nicht ver¬ 
öffentlichten Manuskript zu seinen Vorlesungen über das Leib-Seele-Problem dar¬ 
auf aufmerksam gemacht, daß übrigens auch ein exakter Nachweis der Konstanz 
der Energiebilanz im lebenden Haushalt nichts beweisen würde, denn es könnte 
ja sein, daß Energiezufuhr und Energieverbrauch durch Lebensfaktoren sich auf- 
heben würden. 
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