B. Synthetischer Teil. IT. Mathematische Physik. 69
Klarheit, daß die Lichtgeschwindigkeit in alle Messungen
der Physik als Faktor miteingeht und die Resultate
dieser Messungen zu bloß relativer Gültigkeit herabsetzt.
Die vollen Konsequenzen dieses Ergebnisses für das
System der mechanischen Grundbegriffe und die Grund¬
voraussetzungen der Physik überhaupt zu entwickeln hat
dann Minkowski sich zur Aufgabe gestellt. Irrtümlich zwar
würde man diese Relativierung auf die reinen Begriffe der
Zeit und des Raumes selbst beziehen (wie es bei Minkowski
erscheinen kann). Bezieht man sie aber, wie es allein zu¬
lässig ist, lediglich auf die empirische Zeit- und Orts¬
bestimmung der Vorgänge in der Natur, so ist das be¬
hauptete Ergebnis unzweifelhaft richtig, aber allerdings
kein andres, als man a priori erwarten muß. Auch die
von Minkowski besonders betonte völlige Vereinigung
(„Union“) von Zeit und Raum, derzufolge die Zeit gerade¬
zu als vierte Dimension zu den dreien des Raumes sich
darstellt, besteht zuletzt nur darin, daß alle vier Be¬
stimmungsstücke miteinander und in bestimmter Abhängig¬
keit von einander der gleichen Relativierung durch ihre
gemeinsame Beziehung auf eine bestimmte letzte empirische
Bedingung (eben die Lichtgeschwindigkeit) verfallen. So¬
mit bestätigt diese Theorie zuletzt nur, daß die Gesetze
der abstrakten, auf die absolute mathematische Zeit und
den absoluten mathematischen Raum bezogenen Mechanik
als solche noch keine physikalische, sondern gleich denen
der reinen Mathematik nur eine abstrakte Geltung bean¬
spruchen können; wogegen die Physik, als empirische
Wissenschaft, nur mit einem Bezugssystem zu arbeiten ver¬
mag, welches statt der idealen absoluten Eindeutigkeit der
Zeit- und Ortsbestimmungen die höchste unter den gegebenen
Bedingungen erreichbare empirische Eindeutigkeit zuwege
bringt. Sie wird also das größte erreichbare empirische
Maß für ihre Messungen gebrauchen; dieses ist für den
gegebenen Stand der physikalischen Empirie die Fort¬
pflanzungsgeschwindigkeit des Lichts. Indem also diese
als letzte Konstante den physikalischen Zeit- und Raum¬
messungen zu Grunde gelegt und deren Abhängigkeit von
diesem letzten empirischen Maße beachtet wird, erhält das
Zeit-Ranm-System der Physik mit Notwendigkeit jene frei¬
bewegliche („aichteuklidische“) Gestalt, die sich bei Min¬