B. Synthetischer Teil. II. Mathematische Physik. 49
und „die“ Zahl (d. h. die Möglichkeit der Zahlsetzung über¬
haupt) nie erschöpfen. Es lassen sich in dem Kontinuum
der Zeit dann auch Strecken abgrenzen und addieren,
subtrahieren, vervielfältigen und teilen ins Unendliche.
Demnach fällt die Mathematik der Zeit in jeder Hinsicht
zusammen mit der Mathematik der eindimensionalen geraden
und stetigen Reihe. Eben darum gibt es nicht eine eigene
Mathematik der Zeit, wie es eine des Raumes gibt.
§ 31. Die mathematischen Gesetze des Raumes,
a) Die eindimensionale Ausdehnung.
Wie die Zeit, ist auch der Raum eine bloße Stellen¬
ordnung und als solche, nach ihren bloß mathematischen
Bestimmungen, rein abzuleiten aus den Gesetzen der Zahl.
Es ist daher ein Problem, woher diese Doppelheit der
Stellenordnung stammt, von der die Zahl nichts zu wissen
scheint, und woher, neben der weitgehenden Überein¬
stimmung in den Grundbestimmungen, die Verschiedenheiten
im besondern, so in der Zahl der Dimensionen. Der letzte
Grund dieser Zweiheit und Verschiedenheit der Ordnungs¬
weisen des Existierenden ist dieser: Zeitvorstellung ist
ursprünglich Auseinanderhaltung im Bewußtsein, Raum¬
vorstellung Zusammennehmung des zugleich Auseinander¬
gehaltenen im Ganzen einer Vorstellung; eine Verbindung
von Elementen, die eine bestimmte Wechselrelation unter
diesen einschließt. Ein räumlich Mannigfaltiges kann daher
als Mannigfaltiges nur so zum Bewußtsein gebracht werden,
daß man es in der Vorstellung sukzessiv durchläuft, also
die Raumordnung in eine zeitliche Ordnung überträgt; um¬
gekehrt, eine Folge von Zeitstellen, und so die ganze Zeit,
kann als Einheit, mithin als Größe (Dauer), nur vorstellig
gemacht werden durch Übertragung in ein räumliches
Kontinuum von einer Dimension. Dabei bleiben jedoch
beide, Raum als Vorstellung des Miteinander, Zeit als Vor¬
stellung des Auseinander, stets streng geschieden, ohne
jede Gefahr der Verwechslung, weil Bewußtsein der
Sonderung und Bewußtsein der Verbindung sich zwar
gegenseitig bedingen, aber dabei begrifflich stets scharf
unterschieden bleiben. Die Zahl enthält an sich beides,
Auseinanderhaltung in einer Reihe und Zusammennehmung
Natorp, Logik. 4