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II. Elementarlehre.
stattfindet. Ein kontinuierlicher Übergang zwischen Minus¬
sinn und Plussinn ist also nur durch eine begriffliche Neu¬
schöpfung möglich, die aber kraft der Kontinuität des
Denkens unabweislich gefordert ist. Es vollzieht doch die
Wendung vom Grundsinn zum Gegensinn und umgekehrt,
und beschreibt diesen Übergang kontinuierlich, gleichsam
als Drehung, die sich auch als kontinuierliche Winkel¬
änderung auffassen läßt. In der Tat ist mit der Relation
der Relationen Plus und Minus der Begriff des Winkels
(einer Größe der Verschiedenheit der Beziehungsart) der
Sache nach schon gesetzt. Also gibt es für das Denken
das Kontinuum der Richtungen ebenso wie das Kontinuum
der Werte; und da die Zahl das Moment der Richtung
von Haus aus einschließt, so fordert diese neue Kontinuität
einen gesetzmäßigen Ausdruck auch in der Zahl. Dieser
ergibt sich, nach der Konsequenz der Zeichensprache der
Arithmetbik , mit Notwendigkeit so, daß das Minus nicht
nur in ganze, sondern ebensowohl in gebrochene Potenz
erhoben werden kann; d. h. es ergibt sich die sogenannte
Imaginärzahl, in einfachster Gestalt (—l)l/» oder V—1,
die als neue Einheit i in Verbindung mit der ursprüng¬
lichen Einheit die „komplexe Zahl“ (a-f-fo, wo a und b
gewöhnliche Zahlen, zur Einheit 1, sind) und damit die
„Zahlebene“ begründet.
Der natürliche Anstoß an der Einführung der konti¬
nuierlichen Richtungsänderung in die Zahl liegt darin, daß
mit der Mehrheit der Richtungen zugleich eine Mehrheit
von Dimensionen eingeführt wird, welche der Zahl an sich
fremd, vom Raum erst künstlich auf sie übertragen erscheint.
Wohl aus diesem letzten Grunde hat die Mathematik sich
Jahrhunderte hindurch gesträubt, das „Imaginäre“ als recht¬
mäßigen arithmetischen Begriff anzuerkennen, obgleich man
es als „Fiktion“ zuzulassen gar nicht umhin konnte, wenn
nicht die folgerechte Durchführung der arithmetischen Grund¬
operationen unterbleiben sollte. Nun genügt, um den An¬
stoß zu heben, noch nicht die an sich richtige Bemerkung
(Hamilton’s), daß alle Erweiterungen der Zahl auf der
Einführung verschiedener, aber verknüpfter Zählungen
(Zählungen mit verschiedenen Einheiten) beruhen. Das
trifft zuerst auf die relative Zahl zu, in deren multiplikativer
Entwicklung in der Tat die ursprünglich einzige Dimension