B. Synthetischer Teil, I. Mathematik. 37
barkeit des Unendlichen in quantitativer Bedeutung, aus¬
geschlossen auch die Voraussetzung eines dinghaft existie¬
renden Unendlichen, das durch das stets endlich bleibende
Verfahren der Zählung nur nicht zu erreichen sei. Denn
für die Mathematik existiert nichts, was nicht durch das
mathematische Verfahren definiert werden kann.
Diese streng „methodische“ Auffassung des mathe¬
matisch Unendlichen deckt sich keineswegs mit der von
Aristoteles an vielfach angenommenen Meinung, daß ein
Unendliches der „Möglichkeit“ nach (potentiell Unendliches)
zulässig, in der „Verwirklichung“ aber (als aktuell Unend¬
liches) unannehmbar sei. Das Unendliche in jener metho¬
dischen Bedeutung gibt es, und zwar nicht zufolge einer
etwa unvollendbaren Sukzession. Denn es läßt sich mit
Recht behaupten, daß die Relationen der Zahl ins Unend¬
liche „sind“, nicht „werden“ (vgl. § 23, Abs. 1). Das
methodisch Unendliche wäre also im vollen Sinne als aktuell,
nicht bloß potentiell Unendliches zu bezeichnen, wenn über¬
haupt der Modalitätsunterschied des Möglichen und Wirk¬
lichen in der Mathematik eine Stelle hätte. Es ist daher
an der neueren mathematischen Lehre vom Unendlichen
(von Georg Cantor) nicht das anzufechten, daß sie ein
aktuell Unendliches („Transfinites“) zu behaupten wagt,
sondern vielmehr, daß sie ein potentiell Unendliches, dem
kein aktuell Unendliches entspricht, (besonders zur Er¬
klärung des Infinitesimalen) daneben bestehen läßt (welche
Inkonsequenz übrigens durch Giuseppe Veronese bereits
überwunden ist). Die Behauptung des Transfiniten ruht
vollkommen sicher auf dem Grunde der immer unveränder¬
lich fortbestehenden Relationen der Zahl. Der Widerstand
gegen diese Behauptung hat seinen Grund wesentlich darin,
daß man versucht die Unendlichkeit der Zahl durch die
bloße Quantität zu verstehen, was doch schon von den Be¬
gründern der Mathematik des Unendlichen (Galilei, Newton,
Leibniz, mit denen auch Kant übereinstimmt) als unzu¬
treffend erkannt worden ist. Zu fassen ist der streng wissen¬
schaftliche Sinn des mathematisch Unendlichen vielmehr nur
durch die Methode der qualitativen Allheit (s. § 16), d. h.
durch die Funktion des Gesetzes, das als Gattung aller Dis¬
kretion der quantitativ unterscheidbaren Einzelwerte einer
Größe sich logisch überordnet und als Ursprungseinheit sie
aus sich erst hervorgehen läßt (§ 17).