eine religiöse Krisis hinein. Sein Tagebuch zeigt mit
seinen Ausrufen und Fragen die Nöte und Qualen
auf: «Ach, wenn mein Herz nicht gebrochen wäre,
würde es stöhnen. Versuchen wir uns aufzurichten!
Gebetet, geweint. O barmherziger Gott, ich danke
Dir. Sobald der schreckliche Schmerz wiederkommt,
werde ich beten und weinen, bis er vorüber ge gangen
sein wird.» Unter dem Einfluss der Frau von Krü-
dener beruhigte er sich und richtete sich wieder auf.
Die Glaubensfreiheit ist die Grundlage seines Li¬
beralismus. Er unterscheidet zwischen religiösem Ge¬
fühl und religiösen Formen. «Das religiöse Gefühl,»
sagt er, «ist die Antwort auf jenen Schrei der Seele,
den nichts zum Schweigen bringt, auf jenes Streben
nach dem Unbekannten und Unendlichen, das durch
nichts vollständig bezwungen werden kann, mit
welchen Zerstreuungen man sich auch umgebe und
mit welcher Geschicklichkeit man sich vergnüge
oder erniedrige.» Das religiöse Gefühl zwingt die
Menschen, die alten Glaubens formen zu zerbrechen
und stets nach besseren und reineren zu suchen; das
Gewissen als Ausfluss dieser Kraft setzt sie instand,
über Gut und Böse zu entscheiden. Um die Würde
des göttlichen Funkens zu wahren, bedürfen sie der
Freiheit, muss jeder dem Andern diese Freiheit der
Entscheidung zugestehen.
Kennt Constant keinen Zusammenschluss Gleich¬
gläubiger, keine Bindung zur Gemeinschaft? Er spricht
zwar sehr oft von Sekten und Priestern und aner¬
kennt sie als nötig; aber wie er die endlose Aufspal¬
tung der bestehenden Sekten in neue wünscht, so ver¬
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