Full text: Über die Freiheit

nügt nicht, dass sie in der Verfassung stehen; denn 
wie oft schon sind einzelne Artikel verletzt worden. 
Damit die Verfassung und mit ihr die persönlichen 
Freiheiten in Kraft treten, müssen Abgeordnete ge¬ 
wählt werden, die gewillt sind, über sie zu wachen 
und die politischen Angelegenheiten zu besorgen. 
Die Bürger prüfen die Geschäftsführung ihrer Ver¬ 
treter und berufen sie ab, wenn sie die Erwartungen 
enttäuschen oder ihre Gewalt missbrauchen. Da¬ 
durch verhindert das Repräsentativsystem einerseits, 
dass an einem Orte eine zu grosse Macht an gehäuft 
zverde, und verschafft anderseits dem Einzelnen die 
Müsse, deren er für den Genuss seiner persönlichen 
Freiheiten bedarf. 
* * * 
Zwiespältig erscheint die Persönlichkeit Benjamin 
Constants: Durch Geburt und Wahl ist er Schweizer 
und Franzose, seinem Wesen nach Weltbürger; er ist 
Angehöriger zweier Zeitalter, ist Ausformer und 
Verkünder von Ideen, die im ersten entstanden, im 
zweiten beherrschend werden; er wächst auf im 
Geist des 18. Jahrhunderts, wirkt als Vorläufer der 
Romantik; anfänglich ist er, wie viele Aufklärer, 
Religionskritiker, im letzten Drittel seines Lebens 
wird er von der allgemeinen religiösen Vertiefung 
erfasst; seine Lebensführung ist unsicher, seine Ge¬ 
dankenführung klar; sein sittliches Verhalten ist 
nicht hochwertig, sein politisches System gründet er 
auf der Achtung vor dem Sittengesetz. 
Diese Gespaltenheit wirkt sich in der Form seiner 
Werke aus. Als Wissenschafter befolgt er die histo¬ 
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