es uns erlaubten, würden wir uns auf die Geschichte
berufen und zeigen, dass die Religionen beinahe
immer deswegen untergegangen sind, weil sich ihre
Verteidiger hartnäckig den notwendig gewordenen
Verbesserungen widersetzten, obwohl einige Anhän¬
ger einen Teil ändern oder läutern wollten. Wie die
athenischen Priester als erste das gute Einvernehmen
störten, das zwischen der Philosophie und der Viel¬
götterei bestand, hatten zwar einige Philosophen
darunter zu leiden, aber schliesslich brach doch die
Vielgötterei zusammen. Die Philosophie überlebte
sie. Und später veranlasste die Unbeugsamkeit
Leos X., dass der Katholizismus in einem grossen
Teil Europas abgeschafft wurde, was Luther selber
gar nicht beabsichtigt hatte, als er seinen Angriff
gegen die Missbräuche der römischen Kirche begann.
Man irrt sich also schwer, wenn man annimmt,
dass die Religion unverändert zu bleiben wünsche;
sie möchte im Gegenteil, dass die Entwicklungsfähig¬
keit — ein Gesetz der menschlichen Natur — auch
auf sie angewandt werde. Wenn die religiösen An¬
schauungen hinter dem allgemeinen Fortschritt des
menschlichen Geistes Zurückbleiben, so machen sie
ihre Verbündeten zu Widersachern, werden einsam
und feindselig und sehen sich gleichsam belagert
von den Feinden, die sie sich mutwillig geschaffen
haben. Eine Macht, welche ihre Gegner bloss zer¬
streuen kann, ist nicht imstande, sie zu besiegen.
Die Feinde nehmen von Tag zu Tag an Zahl und
an Härte zu. Sie erhalten Zustrom gerade wegen
ihrer Niederlagen, und sie erneuern hartnäckig ihre
I24